Zeit ist Kontakt - Wie social media unsere Beziehungen beeinflusst
Social Media ist ein essentieller Bestandteil des Alltags von Jugendlichen geworden. Welchen Einfluss hat dies auf Beziehungen?
Wenn wir im uns im Nachfolgenden Gedanken über den Einfluss von social media machen möchten, sollten wir zunächst etwas kommunikationstheoretische Grundlagenarbeit leisten. Ob und wie Medien exakt wirken, lässt sich nur sehr schwer feststellen. Aber dass sie wirken, ist vollkommen unstrittig.
Zeit, Aufmerksamkeit, Leidenschaft, Kraft, die von anderen Aktivitäten abgeführt wird
Ganz allgemein bedeutet das: Wir lernen immer das, was wir viel, häufig, leidenschaftlich und mit emotional spürbarem Erfolg tun.
Stellen wir uns zwei Gruppen von 5-jährigen Kindern vor: Gruppe 1 schaut jeden Tag 3h fern, Gruppe 2 maximal 1h. Die gewonnene Zeit steht ihnen beliebig zum Basteln, Malen und Herumtoben zur freien Verfügung. Wir alle nehmen - zurecht - an, dass Gruppe 2 in verschiedenen kreativen, sozialen und sensomotorisch anspruchsvollen Übungen besser abschneidet (Winterstein & Jungwirt 2006).
Doch warum ist das so? Kreativität, Geschick und Körpergefühl in Gruppe 2 werden nicht deswegen in Mitleidenschaft gezogen, weil Fernsehen „dumm macht“, sondern weil das zeitliche und emotionale Engagement in anderen Bereichen „zu kurz kommt“. Und das ist der zentrale Aspekt, wenn wir uns mit den Wirkungen von Medien beschäftigen sollten: Sie beeinflussen uns so stark, weil sie sehr viel unserer Zeit und Gedanken in Beschlag nehmen können.
Besonders wichtig kann das werden, wenn besonders zentrale Entwicklungsherausforderungen vor der Tür des Lebens stehen, die viel Üben, Mut und vielseitige Erfahrungen erfordern. Man denke beispielsweise an die Loslösung vom Elternhaus. Diese größere Entwicklungsaufgabe zerfällt in tausende kleine Interaktionen, Momente, Leidenschaften und Beziehungserfahrungen, die alle für sich Zeit, Leidenschaft und Invest erfordern.
In Hinsicht auf social media führt das zu vier Fragen:
a) Wie viel Zeit wird durch social media von anderen Kontakten und Erlebnissen abgeführt?
b) Finden alternative Lernerfahrungen in ausreichendem Maße statt? Finden Identitätsprozesse und Beziehungen in selber Qualität statt?
c) Führt social media vielleicht auch konstruktiv dazu, Neues zu erfahren, zu lernen und sich auf Neues schaffende Betätigungen und Kontakte einzulassen?
d) Könnte social media dazu führen, dass fördernde Augenblicke weniger positive Kraft entfalten können, weil wir „in Gedanken woanders sind“?
Wie viel verbringen wir Zeit mit social media?
Man kann davon ausgehen, dass Nutzer in Deutschland täglich ca. 4 Stunden Freizeit mit dem Internet verbringen. Davon sind ca. 130 min. inhaltsbezogene Medien (Videos, Gaming, Texte) und ca. 110 min. kommunikationsbezogene Nutzung (texting, videocalls…). Ganz anders verhält es sich im Jugendalter. Jugendliche (14-29 Jahre) verbringen an einem Durchschnittstag 270 min. (4,5h) mit Medieninhalten und 195 min. (3,25h) mit Kommunikationsbezogener Onlinenutzung (ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2021, in: Kupferschmitt/Müller 2021, p. 374.)
Im inneren Abwägen zwischen digitalen und analogen Beschäftigungen scheinen aus unterschiedlichen Gründen die technischen Anbieter „die Nase vorn zu haben“. Zugleich ist das Jugendalter eine Charakterschmiede, in der wir personal reifen: Sowohl was unsere Identität, unseren Selbstbezug als auch unser Kontaktverhalten angeht.
>>> Bezug zum Jugendpastoralem Handeln: Es darf bezweifelt werden, in der primär digitalen Sozialisation in selber Güte einen Bezug zur eigenen Identität, Innerlichkeit und zu den Mitmenschen knüpfen zu lernen. Das wird künftig unsere Arbeit als Jugendmitarbeiter verändern. Wir dürfen erwarten, künftig
a) junge Menschen tangential (streifend) über Medien ansprechen zu müssen und
b) ihnen zugleich Angebote zu machen, ihren Appetit nach realweltlichen Tiefebeziehungen wahrzunehmen
c) sowie ihren Drang nach analogen Reifungsräumen zu entdecken, zu wecken und zu stillen.
Womöglich gibt es künftig auch Kinder und Jugendliche, die das Gefühl, analog mit Menschen tief verbunden zu sein, kaum kennen und kaum vermissen: „Vor diesem Hintergrund stimmt es nachdenklich, wenn 29 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen angeben, dass es für sie keinen Unterschied macht, mit Freund*innen digital oder persönlich zu kommunizieren.“ (JIM Jugendmedienstudie 2021:35)
Nicht jeder von uns fällt als Kontakt- und Empathiebolide vom Himmel. Viele von uns müssen das dazu nötige Sozialhandwerk auch lernen: Kontaktfreudigkeit, Takt, Mitfühlen, Fragen stellen, Diskretion, Selbstrücknahme, Mut - um nur einige soft skills im Kontext Kommunikation zu nennen. Krass ausgedrückt: Wir müssen leider zunächst davon ausgehen, dass die vielen Stunden mit Geräten dazu führen werden, in diesen Kompetenzen digital bewandert, aber realweltlich unterentwickelt zu sein. <<<
Indirekte Medienabhängigkeit
Medien entfalten auch deswegen eine Wirkung, weil sie unsere Beziehungen und unseren Alltag strukturieren. Denn Medien sind kultur- und gesellschaftstragende Strukturen. Das bedeutet einerseits, dass sie uns in unserem Alltag bestimmte Formen der Zugänge zu Gesellschaft und Mitmenschen ermöglichen und andere verbarrikadieren.
Wenn ein handyloses Kind in einer Schulpause sitzt, in der alle Mitschüler mit dem Smartphone beschäftigt sind, so ist dieses Kind ganz offensichtlich „medienabhängig“, obwohl es selbst gar keine Medien nutzt. Wir möchten das einmal die „indirekte Medienabhängigkeit“ nennen. Besonders im Zuge eines demographischen Wandels sind Kinder und Spielgefährten ein rares Gut. Wenn die wenigen Gleichaltrigen, die es im Straßenzug noch gibt, 90% ihrer Freizeit allein vor dem Rechner sitzen, gibt es eine Form der sozialen Isolation, wie es Goldgräberkinder im Klondike erlebt haben dürften.
>>> Bezug zu jugendpastoralem Handeln: Wenn Kinder und Jugendliche „seltener“ werden, ist es umso wichtiger, dass sich Eltern und Anbieter von Freizeitangeboten absprechen - besonders in der Medienerziehung. Wenn Jugendtreffs miteinander konkurrieren, wer die besseren Konsolen hat, wird es am Ende keinem nützen - außer den Herstellern von Spielkonsolen. Jugendpastoren sind auch gut damit beraten, die Eltern der Kinder- und Jugendlichen des Stadtteils bzw. der Kirche einzuladen, um die Medienerziehung etwas zu synchronisieren: Wenn am Donnerstag alle daheim „medienfreie“ Zeit haben, treffen sich zufällig alle wieder auf dem Bolzplatz.<<<
Auf einen weiteren Effekt von Medien möchte ich hinweisen: Sie prägen uns viel tiefgehender, als man das mit einfachen Wirkannahmen erklären kann. Sie formen unseren „Sozialcharakter“. Das möchte ich an einem Beispiel erklären: Digitaler Medienkonsum im Internetzeitalter ist vergleichbar mit einem All-You-Can-Eat-Buffett: „Wenn du willst, kannst du alles haben!“ Alle Songs. Immer hören. Überall zugreifen. Die Achsen Mobilität, Datenvolumen und Zugriff sind praktisch unbegrenzt. Das Buffett ist endlos lang. Das, was begrenzt ist, sind die menschlichen Konstanten, mit denen wir ans Buffett gehen, um „Medieninhalte, in uns aufzunehmen“: Unsere Zeit. Analoge Verpflichtungen. Stoffwechselfunktionen. Auffassungsmöglichkeiten.
Diese Erfahrung nun ist eine so tiefgreifende, dass sie unseren Sozialcharakter - unseres „In-der-der-sozialen-Welt-sein“- verändert. Wir neigen dazu, unverbindliche Probiermenschen zu sein, flüchtig weiterstrebend, rasch das Wesentliche auffassend, schnell und gezielt suchen könnend bzw. auf planlosen Streifzügen Unverbindlichkeit kultivierend. Das hat gute Seiten, aber auch schlechte.
>>> Bezug zu Jugendpastoralem Handeln: Einerseits bieten sich dir dadurch ungezählt viele Möglichkeiten, im digitalen Raum Impulse zu setzen. Andererseits steht dieser „Sozialcharakter“ aus meiner Perspektive der Integration des Evangeliums in die eigene Lebensphilosophie im Wege. Auf das unbedingte Ja des himmlischen Vaters an uns Menschen, ist das „ich schau mal“ der Medienmoderne nicht unbedingt diejenige Reaktion, die wir im Vorbild der Jünger Jesu sehen, nachdem er sie berufen hat. Dennoch kann es bedeuten, in kleinen Schritten vorwärts zu gehen, kirchliche „Probe-Abos“ anzubieten. Und es sollte bedeuten, den „flüchtigen Sozialcharakter“ selbst zum Bildungsgegenstand im Sinne einer Reflexion auf dem Weg zum Erwachsenen zu machen. <<<
Social media als Torhüter & Schnittstelle im Bereich unserer Interaktionen
Übertragen auf social media und unsere Beziehungen bedeutet das einerseits, dass mediale Kommunikationsformen uns Zwang und Möglichkeiten der Beziehung auferlegen. Sie sind wie Schnittstellen, die Tore hüten. Wer bekommt Zugang? Wer nicht? Wer darf seine Botschaften wie effektiv senden? Wer darf in meinen Alltag und mein Leben „Input“ geben?
Wir wollen uns im folgenden nicht so sehr auf die Macht von Influencern und Algorythmen konzentrieren, sondern ganz grundsätzlich die Struktur von analogen Beziehungen mit digitalen vergleichen.
In der integrativen Therapie gibt es ein Ko-Respondenzmodell, was wir hier einmal als Typologie von menschlichen Interaktionsmodi verstehen wollen. Demnach gibt es lose „Kontakte“, in der Regel mit vormals Fremden bzw. mit Vertrauten, mit denen ich einen sehr kurzen, flüchtigen Interakt habe. „Kontakte“ können auch einseitig sein: A will etwas von B. Kontakte erfordern zudem ein geringes Maß an Aufmerksamkeit. Man kann „Kontakte“ haben, ohne die aktuelle Tätigkeit zu unterbrechen.
Es gibt zudem „Begegnungen“, die jeweils an ein bereits erfolgtes Erlebnis mit einer Person anknüpfen. Bei „Begegnungen“ nimmt man sich Zeit für den anderen und hat umgekehrt den Eindruck, man wurde wahrgenommen und gesehen. „Begegnungen“ erfordern in der Regel ein kurzes Heraustreten aus dem Lauf des Tagesgeschäfts, was die Wertigkeit der anderen Person ausdrückt. Der Fluss der Zeit beider wird kurz unterbrochen und man schenkt dem anderen ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Beziehung“ ist letztlich ein Status zwischen zwei Menschen, der sich nicht in konkreten Augenblicken vollzieht, sondern unabhängig von Zeit und Raum gültig ist. Doch dieser Status findet „Ausdruck“ in der gemeinsamen Zeit. Denn sobald man sich trifft oder miteinander kommuniziert, drückt sich jene bestehende Beziehung aus und ändert die Interaktion im wechselseitigen Bewusstsein. In Beziehungen begegnen wir einander in der Regel ehrlicher und kommunizieren neben den sachlichen Ebenen auch in der Regel die Beziehungsebene mit. Die Beziehung selbst steht als Dritter im Raum, könnte man sagen.
„Bindung“ ist ähnlich wie Beziehung, sie ist jedoch von fundamental anderer Qualität. In Bindungen treffen wir einander außerhalb von Rollen als ganze Personen. Wir trauen uns und dadurch trauen wir uns auch mehr zu - frech sein, unzuverlässig, schwach. Zugleich übernehmen wir Verantwortung füreinander. Wenn es uns in unserem Alltag alles zu viel wird, neigen wir dazu, zu unseren primären Bindungspersonen zu flüchten, um Emotionen zu verarbeiten und Halt und Orientierung zu finden. Dadurch stellen Bindungen eine Lernschule für jene verlässlich-haltenden Menschen dar: Sie müssen in ihrer Fähigkeit wachsen, sich auf andere einzulassen, sich Zeit zu nehmen, einzufühlen und zu trösten.
Alle vier Ebenen sind wichtig und stellen eine Ausdrucksgestalt des menschlichen Beziehungsreichtums wahr. Je nach Lebenslage erlebt man Mangel in der einen oder anderen Ebene. (Singles stehen vor der Herausforderung, unersetzliche, bedingunglose Bindungspersonen - Bundesgenossen - in ihrem Leben zu erleben und mit ihnen viel Zeit zu verbringen. Mamas von jungen Babys vermissen vielleicht manchmal das Treffen neuer Leute in losen Kontakten.)
Es gibt nun drei bemerkenswerte Phänomene:
Tiefe: Erstens nimmt die bio-psycho-soziale Tiefe zu, je verbundener wir einander sind: Körperausdruck, Nähe, Selbstoffenbarung, Heilsames, Kommunikationsformen und soziales Leben wird intensiver.
Menge: Zweitens nimmt die durchschnittliche Freizeit, die wir investieren zu, je dichter die Ebene ist. Obwohl es weniger Menschen sind, mit denen wir Bindungen haben, teilen wir wesentlich mehr Gesamtzeit mit ihnen als mit all unseren flüchtigen Kontakten zusammengenommen.
Verschiedenheit: Obwohl alle Menschen alle Ebenen für ein reichhaltiges Sozialleben benötigen, sind die „Mischungsverhältnisse“ anders. Manche Menschen streben sehr stark in Bindungen, andere sehr stark in die Weite und die Suche nach neuen Kontakten. Das hat persönliche Gründe (bspw. Intro- bzw. Extraversion), aber es hat auch situative Gründe („Erschöpfung“ u.a.). Zur Verschiedenheit gehört auch, dass sich die Formen der Bezogenheit mit Mitmenschen biografisch auch verändern. Jugendliche haben eine Zeitlang sehr wenig Zeit mit den zentralen Bindungspersonen im Zuge des Identitätsbildungs- und Loslösungsprozesses von der Herkunftsfamilie.
Aus Kontakten und Begegnungen werden Beziehungen
Betrachtet man nun social media, fällt auf, dass die Pyramide sich nicht selten andersherum anreichert.
Es stehen Kontakte und Begegungen im Vordergrund. Zeiten des „We-are-in-This-Together“-Gefühls (Robert Selman) sind ausgesprochen selten. Und doch ist auch dort möglich: Bindung und Beziehung zu erleben, voranzukommen, zu reifen, Austausch mit bedeutsamen Personen über die eigene Innerlichkeit zu pflegen, Rat zu empfangen und Freude zu erleben. Social media ist auch ein Kulturgut, was das Leben dank inspirierter Formulierungen, genialer Gifs und situativer Komik reicher machen kann. Zugleich - und das ist ein ungeheuerer Vorteil - sind Menschen offenherzig in social media unterwegs auf der Suche nach neuen Kontakten, hinter denen oft wichtige Sinnfragen und echter Beziehungshunger stecken. Und selbst wenn nicht: Für Christen, die sich in den Worten Jesu selbst als Salz und Licht begreifen dürfen, ist jedes Mittel zunächst einmal ein Gewinn, was Kontakt- und Begegnungsmöglichkeiten erhöht. Wir wollen unser Licht nicht unter Scheffel stellen. Wir wollen Würze in fade Leben bringen.
Zwei Aspekte sollten uns nochmal nachdenklich stimmen.
Mangel spüren und nicht übertünchen.
Durch social media ist der Mensch in der Tendenz nun auch nicht nur durch die Ko-Respondenz-Pyramide begrenzt, die das Leben ihm wie einen gedeckten Tisch anbietet. Das hat Chancen. Während die Eltern streiten, kann der junge Mensch mit dem Patenonkel tröstend schreiben. Zugleich ist „Mangel“ jedoch nicht nur schlecht. Mangel führt manchmal auch zur Reifung. Mangel führt auch zu Wachstum. Mangel schafft Bewegung. Kinder aus widrigen Umständen haben in der Vergangenheit Schutz und Liebe oft bei knuffigen Nachbarn oder Omas gesucht. Und sind dadurch lebenstüchtig geworden.
Heute verschiebt sich etwas durch Gleichzeitigkeit der beiden Ko-Respondenz-Pyramiden in unseren Alltagen. In einer Welt ohne social media wäre die Bindungsperson in der Pflicht, beruhigend und tröstend, aber auch herausfordernd und Reifung provozierend auf den ihr anvertrauten Menschen einzuwirken.
Doch in digitalen Zeiten können sich beide nun dank social media zurücknehmen. Der Mensch, der eine Bindungserfahrung sucht, kann sich ein anderes, ggf. attraktiveres, empathischeres, weniger bedrohliches - oder auch weniger herausfordendes - Tröstungsgegenüber suchen. Damit wird die Bindung kontrollierbar und instrumentell lebbar. Umgekehrt erlebt die Bindungsperson damit nicht die gedeihliche Konfrontation mit eigenen Entwicklungspotentialen. Auf diese Weise kann es passieren, dass wir alle weniger lernen, miteinander und füreinander da zu sein, weil immer eine andere, bequemere Option zur Verfügung steht. Und so richten sich durch social media vermutlich häufiger in einer Konstellation ein, die eigentlich Entwicklung hemmt, statt die Konstellation selbst zu verändern.
Zeit ist Kontakt.
In einem letzten Gedanken: Glaubt man dem Psychologen Robert Dunbar verläuft die Höchstzahl menschlicher Beziehungskontakte bei ca. 150 (sog. Dunbar-Zahl). Wir dürfen vermuten, dass sie uns auch online ein Limit setzt. Vermutlich kann der Mensch seine „Beziehungskapazität“ - Ebene 3 in unserer Ko-Respondenz-Pyramide - nicht nennenswert ausweiten. Anders verhält es sich mit Kontakten und Begegnungen. Da geht wohl weit mehr… Durch social media nimmt tendenziell die Zahl unserer Kontakte und Begegnungen enorm zu. Damit wächst auch die schiere Zahl potentieller „Beziehungs“kandidaten. Ebene 1 & 2 speisen Ebene 3. Nicht selten übertragen sich unbewusst entsprechende Erwartungen. Zudem nimmt durch das Mehr an Online-Ties die Zahl der Nachrichten zu, die man sendet und empfängt. Die Feeds, denen man Beachtung schenkt, wächst und mehr Videos schweben herein, die andere einem unbedingt zeigen wollen. Bestehende Freundschaften und Zeiten mit Bindungspersonen wollen jedoch ebenso gelebt und gefördert werden. Nicht selten entsteht somit eine zusätzliche Hast und Scham, Erwartungen im digitalen oder analogen Beziehungsraum nicht zu erfüllen. Die analogen Beziehungs-Konstanten kann die digitale Freiheit nicht erweitern.
Dabei darf eines nicht auf der Strecke bleiben: Die Tiefe, die Beziehungen und Bindungen ausmacht, speist sich auch aus gemeinsamen Erfahrungen und leibseelischen Näheerlebnissen. Und wenn Kontakte auch Zeit bedeuten, so kann mancher eben seine innigen Freunde und Ehezeiten ggf. deswegen nicht mehr stressfrei wahrnehmen, weil stattdessen zehn halbwichtige Menschen die raren Ressource Aufmerksamkeit und Zeit bekommen haben.
>>> Bezug zu Jugendpastoralem Handeln: Wichtig ist, selbst nicht Teil jenen Problems zu werden. Ein Alibi, sich nicht mit Eltern und Geschwistern zu versöhnen, sondern stattdessen Trost beim digital anwesenden Jugendpastor zu suchen. Ein weitererer Kontakt, der flüchtig bleibt, und dennoch im Wettbewerb um Aufmerksamkeit weitere Ressourcen bindet. Insofern möchte ich anstiften, digitale Kontakte in der Regel als einen Ausgangspunkt zu nehmen, von dem aus man sich gemeinsam „bindet“, um sich dann ins Analoge aufzumachen, um schwierigere, aber auch schönere Passagen im gebirgigen Pfad des Erwachsenwerdens zu meistern. <<<
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Wir möchten an dieser Stelle auf auf die wirklich guten Angebote von www.return-mediensucht.de hinweisen, die sich intensiv mit der Mediennutzung von Jugendlichen beschäftigen. Schaut gerne auf ihrer Seite vorbei und profitiert von hilfreichen und wissenschaftlich aufgearbeiteten Beiträgen!