Wirklich bibeltreu
Was bedeutet eigentlich wirklich Bibeltreu? Gibt es da eine Antwort drauf? Ein paar Dinge solltest du beachten:
„Die schlechtesten Bibelauslegungen habe ich von Menschen gehört, die am lautesten nach bibeltreue gerufen haben.“ Ok - ist ein bisschen überspitzt. Ich habe schon aus unterschiedlichen Richtungen schlechte Bibelauslegungen gehört. Und ich bekenne: bestimmt habe ich an der ein- oder anderen Stelle auch schlechte Bibelauslegungen gemacht, gerade in meinen jungen und wilden Jahren.
Dann formuliere ich lieber ein bisschen vorsichtiger: „Ich bin schockiert, dass es Menschen gibt, die laut nach bibeltreue rufen und gleichzeitig einen schlechten Umgang mit der Bibel haben.“ Das ist mir in unterschiedlichen Facetten begegnet. Einmal habe ich eine Ausarbeitung mit vielen aneinandergereihten Bibelversen zugeschickt bekommen, die einen Punkt deutlich machen sollten. Die Hälfte hatte nichts mit dem Thema zu tun. Einige Stellen haben das Thema berührt. Andere zentrale Stellen haben genau das Gegenteil ausgesagt.
Und das Beispiel ist kein Einzelfall. Neben solchen selektiven Auswahlen von Bibeltexten gibt es das Griechisch-für-Anfänger-Syndrom (ich bin zwar kein Sprachexperte, aber ich habe die Entdeckung gemacht, was das Wort in der Ursprache bedeutet – und das verändert alles) und viele andere Dinge, die zu falschen Auslegungen führen.
Das war jetzt ein sehr negativer Einstieg. Werde ich lieber positiv. Ich wünsche mir selbst sehr, „bibeltreu“ zu sein (was auch immer diese Schublade bedeutet – für mich ungefähr: Ich möchte die Aussageabsichten der Bibeltexte so verstehen, wie Gott sie gemeint hat und sie sensibel in die Lebenssituation übertragen).
Aber wie geht das? Ich habe leider keine Lösung – aber ich gebe die ein paar Gedanken auf den Weg und würde mich freuen, deine Gedanken dazu zu hören, um weiterzukommen.
Sei offen
Mein Gebet ist immer häufiger: „Gott, zeige mir meine blinden Flecken. Korrigiere mich, wo ich falsch liege. Ich denke zwar, dass ich die richtige Überzeugung habe. Aber das denken so viele andere Leute auch. Warum sollte ich der sein, der es richtig verstanden hat?“
Und auch wenn ich das Gebet spreche, nehme ich wahr: es gibt doch so viele Christen, die Gott bitten, die Bibel richtig zu verstehen. Und trotzdem kommen manche von ihnen zu (für mich) total fragwürdigen Überzeugungen.
Das Gebet ist nicht die ganze Lösung. Aber ohne tiefe Selbstprüfung vor Gott werden wir noch stärker in unseren Prägungen verhaftet bleiben und uns trotz unserer Beschränktheit überheben.
Bleibe demütig
Ich kann es manchmal gar nicht fassen, wie schlecht sich Menschen selbst einschätzen können. Da stehen junge Leute vor mir und meinen, dass sie die Wahrheit zu ganz vielen schwierigen Themen erkannt haben, weil sie 2 Bibelstellen hintereinander aufsagen können.
Das ist keine Frage des Alters, sondern der Haltung. Ich bin auch Christen begegnet, über deren Umgang mit der Bibel ich staune. Leute, die wirklich tief in die Ursprachen der Bibel eingetaucht sind. Die ein breites theologisches Wissen haben. Die lange und intensiv die theologischen Einzelheiten von Texten studiert haben. Was ich schätzen gelernt habe ist, dass diese reifen Christen ein klares Bewusstsein davon hatten, bei welchen Themen sie sich festlegen konnten und wo auch ganz unterschiedliche Bibelauslegungen nachvollziehbar sind.
Reflektiere deinen Ansatz
Überzeugungen auf eine Bibelstelle aufbauen. Den Kontext vernachlässigen. Die Textgattung nicht berücksichtigen. Als Laie meinen, Fremdsprachenexperte zu sein. Die Adressaten des Textes nicht beachten. Mit der Kultur alles aushebeln. Den kulturellen Kontext nicht beachten. Und und und. Es gibt so viele Fehlerquellen. „In dem Vers steht doch klar“ reicht als hermeneutischer Ansatz nicht aus. Deswegen: Beschäftige dich damit, was gute Auslegung ausmacht.
Arbeite fleißig
Die Bibel gut zu verstehen ist auch einfach … arbeitet. Fleiß. Schweiß. Studieren. Den Text analysieren. Strukturieren. Wortstudien machen. Kulturelle Hintergründe erforschen. Kommentare lesen. Sein Verständnis mit anderen abgleichen. Es gibt keine Abkürzung.
Und auch da bin ich immer wieder erstaunt, mit welcher Überzeugung manche Bibeltreue auftreten, die sich offensichtlich diese Mühe nicht gemacht haben.
Sei Teil einer Auslegungsgemeinschaft
Die Reformation hat dankenswerter Weise dazu geführt, dass sich jeder Mensch mit der Bibel auseinandersetzen kann.
Das hat aber auch Nebenwirkungen. Jeder kann jetzt sein eigenes Bibelverständnis entwickeln. Dadurch entstehen 1001 Auslegungen zu jedem theologischen Gedanken. Jeder kann sich entscheiden, welchem Kommentator oder welcher Autorität er zustimmt. Für jede noch so skurrile Ansicht wird sich jemand finden, der das als „Gottes Wille“ versteht.
Deswegen müssen wir Teil einer Auslegungsgemeinschaft sein. Wir brauchen andere Christen, die unsere Gedanken kritisieren dürfen. Am Besten Christen mit ganz unterschiedlichen Prägungen. Das ist kein Allheilmittel für das Problem der individualisierten Bibelauslegung – aber ohne dieses Korrektiv werden wir sehr wahrscheinlich der Gefahr erliegen, nur noch das zu tun und zu denken, was in unseren Augen richtig ist.