Wie sag ichs?
Eine Sucht zu erkennen ist das Eine, aber wie kann ich mit dem Betroffenen darüber reden?
Wenn wir den Statistiken zur Verbreitung von Süchten der unterschiedlichsten Art Glauben schenken, dann ist es nicht möglich, in unserer Zeit und Kultur zu leben, ohne Menschen mit Suchtproblemen zu begegnen. Früher oder später werden wir wenigstens auf einen von ihnen treffen, denn allein im Blick auf den Alkohol liegen immerhin bei ca. 10 Prozent der Deutschen die Trinkmengen im riskanten Bereich oder darüber. Die Frage ist, ob wir Suchtverhalten wahrnehmen und erkennen, welche Einstellungen wir selbst zum Thema Abhängigkeit haben und ob wir uns der Herausforderung der Konfrontation stellen. Aus diesen drei Fragestellungen ergibt sich eine weitere: „Wie sag ichs?“. Allerdings muss ich die Hoffnung auf Standardformulierungen enttäuschen!
Es gibt eine Vielzahl von Beobachtungen, die auf das Vorliegen problematischer Konsum-Gewohnheiten, die zur Abhängigkeit führen können, schließen lassen. Am einfachsten ist es, wenn du bei deinem Gegenüber Alkohol riechst, und das nicht nur bei einer Geburtstagsfeier oder einem ähnlichen Anlass, sondern auch an normalen Tagen und vielleicht sogar schon am frühen Morgen. Ähnlich leicht ist ein Raucher zu identifizieren. Schwieriger wird es beim Gebrauch/Missbrauch anderer Mittel wie Drogen, Medikamente, Internet, Videospiele, Essen etc., denn hier kommen Hinweise nicht durch die „Fahne“, sondern beispielsweise durch erhöhte Gereiztheit, Unzuverlässigkeit, Unausgeschlafenheit, Einengung von Interessen oder chronischem Geldmangel. Manche vernachlässigen ihr Äußeres, ziehen sich zurück oder wenden sich einem anderen Freundeskreis zu. Andere verlieren an Körpergewicht oder nehmen unablässig zu, vernachlässigen bisherige Hobbys, wirken euphorisch und überdreht.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass uns das Ansprechen unserer Beobachtungen schwer fällt. Wir haben Angst, dem anderen Unrecht zu tun, ihn zu verletzen oder die Beziehung zu gefährden.Wie reagierst du, wenn du bei einem Bekannten oder Freund solche Hinweise auf riskante Konsumgewohnheiten wahrnimmst? Es ist nicht ungewöhnlich, dass uns das Ansprechen unserer Beobachtungen schwer fällt. Wir haben Angst, dem anderen Unrecht zu tun, ihn zu verletzen oder die Beziehung zu gefährden. Wir erinnern uns an Aussagen in der Bibel, die das Richten verbieten. Wir denken an andere, die wir für mutiger und begabter halten, ein so schwieriges Gespräch zu führen. Irgendeine Ausrede fällt uns schon ein, um uns aus der Verantwortung zu stehlen!
Zugegeben: es ist nicht einfach, ein solches Gespräch zu führen! Bevor du redest oder handelst empfiehlt es sich, dir einige Punkte durch den Kopf gehen lassen. Zunächst ist zu überlegen, ob es bei dir selbst möglicherweise irgendwelche Suchtstrukturen gibt. Erfahrungsgemäß weisen wir einen solchen Verdacht weit von uns, denn süchtig sind immer nur die anderen! Aber wenn du dazu neigst, dein körperliches und seelisches Wohlbefinden mit Hilfe von irgendwelchen Mitteln/Stoffen oder Verhaltensweisen zu verbessern, dann ist bereits Vorsicht geboten – vor allem dann, wenn diese eine schädigende Auswirkung auf den Organismus haben. Dazu gehören die „Beruhigungszigarette“ genau so wie laute Musik zum Stressabbau oder die Flucht in die Weiten des Internet nach einer Auseinandersetzung mit den Eltern oder dem Freund. Es ist gut, mit dem Balken in deinem eigenen Auge zu rechnen, bevor du dich dem Splitter im Auge des Nächsten zuwendest.
Schließlich musst du dir klar darüber werden, ob du letzten Endes bereit bist, die Beziehung zu riskieren. In der Regel wird dir eine Person, die du auf Suchtverhalten ansprichst, (zunächst) nicht dankbar dafür sein, sondern dir Vorwürfe machen, sich möglicherweise von dir zurückziehen, vielleicht schlecht über dich reden oder dich gar beschimpfen. Am wahrscheinlichsten musst du damit rechnen, dass dir dein Gegenüber ein schlechtes Gewissen macht, weil du „so etwas“ über ihn denkst. Auf solche Reaktionen musst du dich einstellen, um die Enttäuschung verkraften zu können, die sich bei dir einstellen wird. Du hast es so gut gemeint, das Gespräch hat dich so viel Überwindung gekostet, und dann ist der andere nicht einmal dankbar dafür! Ich würde dir empfehlen, mit jemandem das Gespräch zu suchen, der sich mit Suchtproblemen etwas auskennt, bevor du den Betroffenen direkt darauf ansprichst. Das könnte dich selbst vor einer möglichen Co-Abhängigkeit schützen. Co-Abhängigkeit heißt, dass sich Menschen im Umfeld des von Abhängigkeit Betroffenen dafür einspannen lassen, ungewollt zur Suchtverlängerung beizutragen, indem sie versuchen, die Folgen des Suchtverhaltens (z.B. Schulden) abzufedern. Achte im Gespräch darauf, dass der Betroffene seine Verantwortung vor Gott, den Menschen in seiner Umgebung und sich selbst erkennt und wahrnimmt.
Es muss deutlich werden, dass Sucht kein unabwendbares Schicksal ist, sondern dass es Hilfe gibt. Dadurch vermittelst du deinem Gegenüber Hoffnung, die dringend nötig ist, um sich überhaupt auf einen Weg ohne das Suchtmittel bzw. Suchtverhalten einzulassen. Es kann hilfreich sein, wenn du offen und ehrlich über deine eigenen Schwierigkeiten in diesem Bereich redest. Moralisieren ist kontraindiziert; Vorwürfe helfen wenig, denn die macht sich der Betroffene schon selbst. Wie oft hat er sich vorgenommen, keine Zigarette mehr anzurühren, nicht so viele Süßigkeiten zu essen, nicht so lange am PC oder Fernseher zu sitzen. Die wiederholte Erfahrung des Versagens empfindet der Betroffene als demütigend, was wiederum den Griff zum Suchtmittel/Suchtverhalten wahrscheinlicher macht, weil es ihm hilft, dadurch sein seelisches Gleichgewicht (zumindest kurzfristig) wiederherzustellen.
Eine weitere wichtige Vorbereitung auf das Gespräch mit dem Betroffenen ist das Gespräch mit dem, der die Herzen kennt, mit dem Herrn Jesus.
Bete um die richtige Interpretation der Hinweise auf das Vorliegen von Suchtproblemen. Bete um Mut und Weisheit, um den richtigen Zeitpunkt, die passende Situation, die nötige Offenheit bei deinem Gegenüber. Bete vor allem darum, dass du dieses Gespräch im Auftrag des Herrn und in der Gesinnung des Dienens und der Fürsorge, nicht des Verurteilens, führst. Dein Gegenüber muss deine echte Besorgnis um sein körperliches, seelisches und vor allem geistliches Wohl spüren.
Im Grunde geht es darum, die Wahrheit in Liebe zu sagen und dabei geduldig zu sein! Nun will niemand gerne die Wahrheit über sich selbst hören, die im Falle von Suchtproblemen immer als sehr bedrohlich gesehen wird. Bedrohlich deshalb, weil der Betroffene genau dieses Suchtverhalten braucht, um im Leben zurecht zu kommen. Das übermäßige Essen bzw. Hungern, das Internetsurfen, der Alkohol etc. bekommen im Laufe der Abhängigkeitsentwicklung zunehmend eine die Persönlichkeit stabilisierende Funktion. Sie wegzunehmen bedeutet, einem Gehbehinderten die Krücke wegzunehmen. Der von Abhängigkeit Betroffene wird zunächst immer das Gefühl haben, wir wollten ihm etwas Gutes vorenthalten. Wenn der Betroffene sein Suchtmittel bzw. Suchtverhalten lassen soll, dann braucht er eine Alternative, die vielleicht im Anbieten von Gemeinschaft besteht, um der Isolation und Einsamkeit zu entrinnen. Vielleicht braucht er jemand, mit dem offene Gespräche möglich sind oder jemand, der ihn zu sportlichen Aktivitäten animiert, ihn auf seine Gaben hinweist und ihm zu einer Aufgabe in der Gemeinde verhilft. Er braucht vielleicht jemanden, der ihm Nachhilfeunterricht erteilt, um mit den Leistungsanforderungen in der Schule klar zu kommen. Sicherlich braucht er jemand, der treu für ihn betet. Vielleicht braucht er aber auch eine Schuldnerberatung oder eine professionelle Entwöhnungsbehandlung. In diesem Fall ist die Vermittlung an kompetente Stellen (z.B. Suchtberatungsstelle) angebracht. Auf jeden Fall darfst du nicht erwarten, dass ein einziges Gespräch gleich die erforderliche Einsicht und Veränderungsbereitschaft bei deinem Gegenüber bewirkt.