Warum findet jeder Bibellesen super (in der Theorie) – und macht es praktisch nicht?
Immer weniger Jugendliche lesen die Bibel, obwohl eigentlich jeder weiß, dass es gut wäre. Woran liegt das? An der Gesellschaft? An neuen Trends? Oder gibt es vielleicht noch andere Gründe?
Abschlussrunde auf der Freizeit, in Kleingruppen: Was nimmst du dir vor?
„Regelmäßige Stille Zeit“. „Tägliche Bibellese.“ „Stille Zeit.“ Gute, heilige Vorsätze. Alle nicken sich zu. Aber: Ziele müssen konkret sein, sonst wird das nichts. Ich frage also nach: „Wie stellt ihr euch das konkret vor?“ Hm. Zögerliche Antwort: „Na, mehr in der Bibel lesen.“
Sätze, die früher mein Herz höher haben schlagen lassen („juhuuu, Leute sind nach meiner Freizeit motiviert mehr Stille Zeit zu machen“), ernüchtern mich mittlerweile. Weil die gleichen Leute ein Jahr später auf der nächsten Freizeit... wieder den gleichen Vorsatz äußern. Weil erfahrungsgemäß jeder noch so gute Bibel-Lese-Vorsatz nach der Freizeit verpufft: Manchmal nach einem Monat, mal schon nach einer Woche – und manchmal nicht einen einzigen Tag durchgezogen wird.
Wo liegt also das Problem? Warum findet jeder Bibellesen theoretisch super – und macht es praktisch so wenig? Warum, liebe Freizeitteilnehmer, bekommt ihr das einfach nicht hin?
Also.
Ich will hier mal eine steile These wagen. Denn natürlich gibt es ein paar Erhobene-Zeigefinger-Ansätze, warum die das nicht hinbekommen. Keine Disziplin. Keine Lesekompetenz. Konkurrierende Prioritäten. Aber: Vielleicht liegt das Problem ja gar nicht bei „denen“.
Sondern bei uns.
Uns, den Jugendmitarbeiten. Uns, den Gemeinden.
Deswegen kommen hier...
5 Gründe, warum Jugendliche so wenig Bibel lesen – und was wir damit zu tun haben (und was wir tun) könnten!:
1. Die Gesellschaft liest weniger – wir arbeiten gegen den Trend
Wir entwickeln uns immer mehr zu einer auditiven Gesellschaft. Podcasts boomen. Hörbücher boomen. Und wir – bringen die nächste Bibel-Ausgabe heraus, wieder mit anderem Einband. Es gibt Bibeln mit Schreibrand, in verständlicher Sprache, für Griechisch-Anfänger, mit Reflexionsfragen, mit kleinen Zeugnissen zwischendrin, als Bibelleseplan.
Natürlich ist das alles super. Und natürlich wollen und sollen wir das Bibel-LESEN nicht aufgeben. Aber vielleicht ist es an der Zeit, mehr in das Bibel-VOR-LESEN zu investieren (das wäre auch näher an dem, wie es ursprünglich war). Vielleicht bauen wir manchmal Hürden nicht ab, die gar nicht genommen werden müssten. Vielleicht wäre es gut, mal zu hinterfragen, warum uns das Lesen so viel wichtig er ist als das Hören. Vielleicht sollten wir anfangen, in neue Formate zu investieren: In kreative Hörbibeln, mit Kommentaren, in verteilten Rollen gelesen, mit Reflexionsfragen, in Andachts-Einheiten. Und vielleicht brauchen wir mehr Mut, unseren Jugendlichen das, was es da schon gibt (z.B. bei YouVersion oder Projekte wie thru the bible), zu empfehlen.
2. Wir vergessen, dass es um Jesus geht
Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass wir in unseren Gemeinden die Bibel mehr lieben als Jesus. Vielleicht weil sie greifbarer scheint, realer? Und so sprechen wir andächtig von unserer Bibel, davon, dass wir das Wort Gottes lieben – und meinen damit das Buch. Und obwohl die Hochachtung vor der Bibel ein echter Schatz ist (der ganze Psalm 119 wurde dafür geschrieben!), stellt sich die Frage, ob unsere Jugendlichen vielleicht deshalb so ungern in der Bibel lesen, weil wir ihnen Jesus nicht lieb gemacht haben?
Jesus ist der rote Faden in der Bibel. Auf ihn läuft alles zu. Das AT ist voller Bilder, die uns darauf vorbereiten, dass wir einen Retter brauchen. Es verdeutlicht, wie heilig Gott ist (z.B. durch die ganzen Regeln beim Stifts-Hütte-Bau), wie schrecklich unsere Trennung von ihm (z.B. durch Jeremias Leiden) oder wie nötig ein Löser (z.B. durch Boas im Buch Ruth) ist. Wenn zwei Menschen eine Beziehung eingehen, gibt es wohl kaum etwas Spannenderes, als das Tagebuch des Partners zu lesen: Wie denkt er wirklich? Wie sieht er mich? Wie bewertet er xy? Wie würden wir Bibel lesen, wenn wir Jesus so lieben, dass sein Buch uns genauso neugierig macht, wie das Tagebuch einer Person, die uns wichtig ist?
3. Wir legen den Fokus auf Wissensvermittlung
Die wenigsten Jugendlichen in unseren Gemeinden wissen zu wenig über Gott. Die wenigsten treffen schlechte Entscheidungen, weil sie die richtigen Dinge nicht wussten. Unser Problem ist, dass wir nicht anwenden. Nicht leben. Dass Gottes Gnade unser Herz nicht wirklich gnädiger gemacht hat. Dass wir keine echte Beziehung zu Gott leben. Dass wir manchmal einfach keinen Bock haben, das zu tun, was Gott will.
Beziehung ist mehr, als Wissen über die andere Person zu sammeln. Aber kann es sein, dass genau das der Fokus ist, den wir als Gemeinden oft vermitteln – in Predigten, Hauskreisen und Bibelstunden? Und kann es sein, dass wir genau diesen Fokus auch beim Bibellesen setzen? Wir veranstalten Bibelvers-Wettbewerbe und lernen Bibelbuch-Listen auswendig – und ja, nichts davon ist schlecht. Aber schlagen unsere Jugendlichen wirklich ihre Bibel mit suchendem Herzen auf, weil sie Gott begegnen wollen: Gott wie bist du? Gott ich sehne mich nach dir!? Zeigen wir, dass Bibellesen Beziehung ist? Kann es sein, dass die Bibel dann wieder attraktiver wird, wenn wir Jugendlichen zeigen, dass die Bibel wirklich relevant für ihre Alltagsfragen (»Hilfe, wer bin ich?« »Wie geht Freundschaft?« »Warum erlebe ich Gott nicht?») ist – und mehr als bloße Theorie?
4. Wir machen Bibellesen zur Pflicht und vergessen die Freude
Kinderlieder wie »Lies die Bibel, bete jeden Tag« fassen zusammen, wie gute Werte zu inhaltsleeren Formen werden können. Für die meisten Jugendlichen in unseren Gemeinden ist Bibellesen mit Druck verbunden. Mit dem Gefühl des Scheiterns. Und ja, obwohl Disziplin eine wichtige Tugend ist, müssen gute Gewohnheiten auch erstmal entwickelt werden. Müssen eingeübt werden.
Mehr denn je sind wir als Mitarbeiter also herausgefordert, authentisch zu sein. Auch authentisch mit unseren persönlichen Bibellese-Struggles. Mit unseren Prozessen. Wenn Bibellesen für uns Pflicht ist, werden wir niemals Freude daran vermitteln können. Wenn Bibellesen für uns Freude ist, sollten wir das nicht als Druckmittel verwenden und anderen das Gefühl vermitteln, sie wären schlechtere Christen. Christen in Verfolgung haben deswegen so oft ein hohes Bild von der Bibel, weil ihnen klar ist, wie kostbar sie ist. Weil sie verstanden haben, dass sie nicht Bibel lesen müssen, sondern Bibel lesen dürfen. Vielleicht sollten wir mal einen Prozess starten und hinterfragen: Warum lesen wir eigentlich in der Bibel? Warum lesen unsere Jugendlichen Bibel – und wie geht es ihnen dabei?
5. Wir leiten unsere Jugendlichen nicht an
Ich bin mit der Aufteilung aufgewachsen: Im Gebet rede ich mit Gott; beim Bibellesen spricht Gott zu mir. Aber eigentlich ist das eine vereinfachte Darstellung: Denn auch beim Beten hat Gott schon zu mir gesprochen. Und mein Bibellesen kann zum Gespräch mit Gott werden. Vielleicht sollten wir den Jugendlichen mehr Methoden an die Hand geben, wie Bibellesen gehen kann – mehr als nur Bibelstudium. Vielleicht sollten wir ihnen mehr aufzeigen, was Bibellesen alles sein kann: Ein Gespräch mit Gott. Ein Psalm, den wir zu unserem Gebet machen, um unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ein einzelner Vers, der uns einen Tag lang begleitet, in jeder Situation. Ein Bibelbuch, dass wir als Ganzes am Stück lesen, um einen Eindruck für die Zusammenhänge zu bekommen. Lectio Divina – das kontemplative Lesen eines Textes.
Und ja, auch Bibelstudium hat seinen Platz: Aber nehmen wir uns die Zeit, unsere Jugendlichen auch darin anzuleiten? Ihnen beizubringen, wie man den Zielgedanken eines Bibelbuches entdeckt? Wie man kontextualisiert, wie unterschiedliche Textsorten unterschiedliche Brillen beim Textlesen verlangen? Denn vielleicht, so die These, lesen unsere Jugendlichen ja auch einfach so wenig Bibel, weil wir ihnen nicht genug – oder zu einseitig – vorgelebt und gezeigt haben, wie!?
Ein Fazit
Neue Formen entwickeln und alte Wahrheiten neu entdecken – ich glaube das ist ein guter Weg, um Jugendliche für die Bibel zu begeistern. Ich wünsche mir, dass wir zu einer Generation von Jugendleitern werden, die mit Jesus im Herzen und der Bibel in der Hand Jünger macht. Die Jugendliche prägt. Die eine tiefe Liebe zu Jesus weitergibt, aus der sich eine Liebe zu dem Buch ergibt, in dem er sich offenbart. Ich wünsche mir, dass die GenZ zu einer Generation wird, die uns einmal (be)lehren kann – von der „Kanzel“ oder privat –, weil sie ein von der Bibel durchdrungenes Fundament und eine enge Beziehung zu Gott hat. Damit das passiert, will ich mich als Mitarbeiterin heute hinterfragen, wie ich dazu beitragen kann, Jugendlichen die Bibel groß zu machen – und was ich vielleicht (unbewusst) vermittle, was genau das verhindert.