Vater für eine vaterlose Generation
Das Vorbild der Väter prägt die Entwicklung der Kinder. Und ihr Gottesbild.
Man stelle sich vor: Gott, der Heilige, der Allmächtige, ist unser Vater! Das gibt es in keiner Religion, in keiner Weltanschauung! Überall, wo man zu einem Gott oder mehreren Göttern betet, spricht man als Winzling zu einem fernen Unnahbaren. Als kleine Nichtse und Namenlose zu einem übergroßen, willkürlichen und unberechenbaren Despoten und Tyrannen, zu einem „Big Brother“, dessen Forderungen man aus Angst vor Strafe erfüllen muss. Der Gott der Bibel möchte uns dagegen als Vater begegnen! Ist uns bewusst, was das bedeutet?
Welches Bild hast du von Gott?
Ich weiß nicht, wie du deinen Vater in Erinnerung hast – vorausgesetzt, du hattest einen. War er nie anwesend? Oder, obwohl anwesend, doch irgendwie abwesend? War er lasch? Oder hart?
Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie wichtig diese Frage ist, als ich vor Jahren in der Jugendgruppe das Thema „Gott als Vater“ behandeln wollte. Vor mir saß ein Junge, dessen Vater in keiner Weise seiner Vaterrolle nachkam. Er stand, wie man im Volksmund allgemein sagt, „unterm Pantoffel“ seiner Frau, gab ein klägliches Bild ab und wurde von seinen Söhnen verachtet. Ulrich Parzany sagte einmal:
„Wenn wir vom menschlichen Vorbild eines Vaters auf Gott schließen, kommen wir in eine Sackgasse. Anders herum müssen wir Väter von Gott lernen, was wirkliche Vaterschaft bedeutet.“
Wir fuhren zur Familienfreizeit in den Westerwald. Ich fuhr mit einem VW-Bulli voran, da wir noch ein Mädchen in ihrem Rollstuhl mitnahmen. Unsere Pflegetochter, die wir als 20-Jährige aus der Drogenszene aufgenommen hatten, fuhr meinen Kombi und hatte zwei unserer Kinder mit im Wagen. Kurz vor dem Westhofener Kreuz auf der A1 gab es „Stopp-and-Go“. Einen kurzen Augenblick hatte sie nicht achtgegeben und schon schob sie mich mit meinem Kombi auf zwei andere Autos auf! Ich schaute in den Rückspiegel: Mein Wagen sah aus wie nach einem ADAC-Crashtest! Hinter dem Lenkrad saß kreidebleich unsere Pflegetochter.
Wir verursachten logischerweise einen riesigen Stau auf der Überholspur. Ich stieg aus, stellte das Warndreieck auf, öffnete die Wagentür und holte die Kinder heraus. Ich nahm meine Pflegetochter in den Arm und sagte: „Das kann jedem passieren, Kind. Wir wollen dem Herrn Jesus danken, dass sonst nichts passiert ist und ihr alle gesund seid.“ Mit aufgerissenen Augen starrte sie mich an: „Du schlägst mich nicht tot? Jetzt weiß ich erst, was ein Vater ist! Mein Vater hätte mich tot geschlagen!“ Als ich kurz darauf den Kostenvoranschlag für die Reparatur erhielt, fragte ich im Stillen: „Herr, warum muss solch eine Lektion so teuer sein und mein Geld kosten?“ Aber Gott beschämte mich. Im Laufe des nächsten halben Jahres bekam ich von unterschiedlicher Seite Spenden zur Reparatur des Autos, die im Gesamtbetrag nicht nur die Kosten der Reparatur, sondern sogar die Rückstufung der Versicherung ausmachten. „Herr, verzeih mir den Unglauben!“, betete ich. „Offensichtlich war dir diese Lektion so viel wert!“
Ja, Gott hat das große Anliegen, dass wir verstehen, wie er als Vater ist.
„Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“Psalm 103,13
Ein wenig davon erfahren wir in dem Gleichnis, das der Herr Jesus in Lukas 15 berichtet und das im Allgemeinen das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ genannt wird. Doch das Erstaunliche an dieser Geschichte ist meines Erachtens nicht die Unverschämtheit des jüngeren Sohnes – dieser Egoismus ist uns allen nicht fremd -, nicht sein ausschweifendes Leben, auch nicht seine Buße und Umkehr und auch nicht das Unverständnis und der Neid des älteren Sohnes. Mich bewegt beim Lesen jedes Mal neu das Verhalten des Vaters. Seine Geduld, sein Warten, seine Vergebungsbereitschaft und seine Liebe zu beiden Söhnen. Ich möchte es deshalb das „Gleichnis vom wartenden Vater“ nennen. Nicht nur mich fasziniert diese wartende Liebe des Vaters. Der große hollän- dische Maler Rembrandt van Rijn (1606-1669) hat neben vielen anderen Gemälden und Zeichnungen zur Bibel gerade diese Begebenheit im Lauf seines Lebens viele Male im Bild festgehalten. Das Besondere an diesen Kunstwerken ist, dass er sich selbst jedes Mal als den verlorenen Sohn ins Bild setzte.
Wenn man das Leben dieses Malers studiert, wird deutlich, dass er den Inhalt der Geschichte, die Jesus erzählt, wohl verstanden hat und auf sein Leben interpretierte. Wie kaum ein anderer beherrschte Rembrandt – bekannt insbesondere durch eindrückliche Gemälde wie z.B. „Der Mann mit dem Goldhelm“ und „Die Nachtwache“ – das Wechselspiel von Licht und Schatten. Er war zu seiner Zeit einer der berühmtesten Porträt- und Situationsmaler. Geboren als Sohn eines einfachen calvinistischen Müllers aus Leiden/Niederlande kam er schon in jungen Jahren durch sein Können zu Ruhm und Ansehen. Nach seiner Heirat mit der Patriziertochter Saskia van Uylenburgh kaufte er ein repräsentatives Haus in der Sint-Anthoniesbreestraat in Amsterdam. Ein Leben in Wohlstand begann.
Doch schon bald wendete sich das Blatt. Zwei seiner Kinder starben kurz nach der Geburt. Ein Jahr nach der Geburt des Sohnes Titus starb auch seine junge Frau. Rembrandt war gerade erst 36 Jahre alt. Auch die Aufträge blieben aus. Die Armut kehrte ein.
Manche notvolle Situation und Sünde entwickelte sich aus der Beziehung zur angestellten Kinderfrau, woraus auch große finanzielle Belastungen entstanden. 1657-58 wurde all sein Besitz versteigert, da er zahlungsunfähig war. Doch auch das reichte nicht aus.
Als Rembrandt 1669 starb, gehörte ihm nur noch ein Kleid, 8 Taschentücher, das Malgerät und eine Bibel …!
Not lehrt Beten – und Malen!
Zeit seines Lebens, aber besonders in der Zeit der Not, beschäftigte er sich intensiv mit der Bibel, und insbesondere mit der Person unseres Herrn. Viele Gemälde, Federzeichnungen und Radierungen entstanden. In vielen seiner Bilder malte er sich selbst mit in die biblische Handlung. So ist er in einer Kreuzigungsszene einer derer, die mithelfen, das Kreuz aufzurichten, als wolle er sagen: „Ich, ich und meine Sünden…“
Doch besonders das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ hatte ihn sein Leben lang beschäftigt. Offensichtlich erkannte er sich selbst in dem Sohn, der das Vaterhaus verlies. Es ist auffallend, zu welchem Zeitpunkt er welches Motiv dieser Geschichte malte:
- Mit 26 Jahren (1632) malte er zum ersten Mal eine Szene dieser Begebenheit: Er, der Sohn, verlässt das Vaterhaus, verlässt den Vater.
- Zur Zeit seines Wohlstandes im Alter von 30 Jahren (1636) malte er den Sohn, wie er das Geld verprasst: ein Selbstbildnis mit seiner Frau Saskia, wie sie dem Betrachter zuprosten!
- Und doch scheint er die Sehnsucht im Herzen gehabt zu haben: Zurück zum Vater! Eine Radierung aus demselben Jahr macht das deutlich.
- Als seine Frau starb (1642), malte er diese Szene neu: eine Feder- und Pinselzeichnung, die den ganzen Schmerz und die Sehnsucht zum Ausdruck bringt.
- Im Jahr 1647, als die Schwierigkeiten größer und ihm seine Sünden bewusst wurden: eine Federzeichnung, die ihn heruntergekommen zwischen den Schweinen zeigt.
- Das beeindruckendste Bild ist das letzte, das Rembrandt in seinem Todesjahr malte: der heimkehrende Sohn, ein Selbstbildnis, in den Armen des vergebenden Vaters.
Rembrandt, der große Maler, der die Höhen und Tiefen des Lebens erfahren hatte, drückte in seinen Gemälden aus, was er selbst erlebt hatte: Er hatte heimgefunden zu seinem himmlischen Vater.
Auf der Suche nach dem verlorenen Vater
Ein anderes Beispiel aus der heutigen Zeit: Schwarze Lederjacke, auf dem Rücken die Symbole der „Hell’s Angels“, Ohrringe und Ketten, Schlagring am Handgelenk und in der Faust die unvermeidliche Bierflasche… Langsam, beinahe zögernd komme ich mit ihm ins Gespräch. Aber dann sitzen wir fast vier Stunden beisammen und es sprudelt aus ihm heraus: 27 Jahre ist er und stolz darauf, seit seinem 12. Lebensjahr auf eigenen Füßen zu stehen. Damals hatten ihn seine Eltern rausgeworfen. Er lächelt über mein erstauntes Gesicht, als er mir sagt, aus welcher Familie er kommt. Jüngster Sohn eines stadtbekannten Unternehmers, das schwarze Schaf zwischen erfolgreichen Geschwistern, und er scheint sich in dieser Rolle zu gefallen. Oder klingt da doch im Unterton Enttäuschung mit? Enttäuschung über den Verlust der Familie, der Kindheit, der Ideale, …?
Zwei Jahre Indien liegen hinter ihm – wegen der Sinnfindung. Er fand ihn nicht. Aber irgend so was wie Typhus hat er sich dort eingefangen. Hunger hat er immer, versucht ihn zu stillen mit „Sprit“, Shit, Hasch. Wie Heldentaten klingen seine Erlebnisse, und doch – sein Blick, die hängenden Schultern und die resignierte, verbitterte Stimme lassen keinen Zweifel aufkommen: Er ist innerlich und äußerlich am Ende. „Aber“, frage ich ihn, „warum berichtest du mir das alles, ich könnte doch dein Vater sein …“ „Das ist es ja gerade“, antwortet er, „so einen Vater hätt’ ich ja haben wollen! Aber mein Alter hatte ja nie Zeit für mich, der hatte nur sein Geschäft …“
Ja, daran krankt die junge Generation weitgehend: Ihr fehlen die Väter, die Schutz, Vorbild und Geborgenheit vermitteln könnten. Nicht nur die vielen zerstörten Ehen, sondern auch die Werte- und Orientierungslosigkeit der heutigen Zeit lassen die kommende Generation leer und ausgebrannt aufwachsen.
Rabenväter?
Vor einiger Zeit berichtete das österreichische Wirtschaftsmagazin „trend“ unter dem Leitartikel „Sind Top-Manager Rabenväter?“: „Ihrem Job widmen sie sich mit Begeisterung 80 Stunden in der Woche, ihren Kindern gehören sie nur für wenige Augenblicke am Tag.“ Und der österreichische Psychologe E. Riegel erklärt: „Managereltern sind besessen von Erfolg, Geld und Macht. Sie haben wenig Werte anzubieten, die das Kind interessieren. Wärme, Liebe und Geborgenheit kann man nicht kaufen.“
Kinder suchen nach dem Sinn ihres Lebens und nach Vorbildern, die ihnen glaubhaft Werte vermitteln können.
Ist uns das bewusst? Das Vorbild ihrer Väter – sei es positiv oder negativ – prägt entscheidend, nicht nur die Frage nach dem Sinn, sondern auch das Gottesbild: „Hat Vater (Gott) Zeit für mich? Nimmt Vater (Gott) mich ernst? Ist Vater (Gott) gerecht? Kann ich mit Vater (Gott) sprechen? Ist Vater (Gott) nachtragend oder versöhnend? Hat Vater (Gott) mich lieb?“
Wie ist Gott als Vater?
Wenn wir Gott als Vater kennen lernen wollen, finden wir in der Bibel seine Wesensmerkmale und seine Art der Erziehung. Gott ist kein Despot, keiner, der willkürlich handelt und reagiert. Er erzieht uns Menschen nicht autoritär, sondern autoritativ. Das meint, bei aller Strenge und Heiligkeit und Gerechtigkeit, die sein Wesen ausmachen, bleibt er doch immer der Liebende, der Beschützende und Treue.
Eine Aussage über Salomo macht mir Gottes Erziehungsprinzip mit uns Menschen deutlich:
„Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein. Wenn er verkehrt handelt, werde ich ihn mit einer Menschenrute und mit Schlägen der Menschenkinder züchtigen. Aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen!“2. Samuel 7,14-15
„Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten.“Psalm 32,8
„Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes.“Römer 8,14
Was kann Gott als Vater billigerweise von mir erwarten?
Er, der alles für mich getan, ja, sogar seinen Sohn für mich in den Tod gegeben hat und damit seine Liebe zu mir unter sichtbaren Beweis stellte und mich errettete aus der Gewalt der Finsternis, kann er nicht meine Gegenliebe, meinen Dank, meine Verehrung, meine Hingabe und meinen Gehorsam erwarten?
„Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“1. Johannes 4,19
„Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wieder zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi.“Römer 8,15-17