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Scheidung

Scheidung ist ein Stückchen Sterben

Auch in christlichen Gruppen begegnen uns immer mehr Scheidungskinder. Dieser Artikel macht Mut auf ihre besonderen Bedürfnisse einzugehen.

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25. November 2013
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6 min

Etwa 180.000 bis 200.000 Minderjährige erleben jedes Jahr die Scheidung ihrer Eltern, stellt das Statistische Bundesamt fest. In den Zahlen sind nicht die Kinder berücksichtigt, deren Eltern sich trennen ohne Scheidung oder deren Eltern vorher nicht verheiratet waren, so dass die Zahl vermutlich höher ist.

Hinter jeder Zahl steht aber ein persönliches Schicksal. Scheidungskinder erleben den Zusammenbruch ihrer kleinen Welt, den Tod einer Familie. Aber während beim Tod eines Elternteils eine Welle der Hilfsbereitschaft anrollt, müssen Scheidungskinder oft allein klar kommen. Man kann nicht gemeinsam trauern und sich gegenseitig stützen.
Werden beim Tod eines Elternteils vor allem die guten Seiten des Gegangenen hervorgehoben, werden im Scheidungsfall alle negativen Eigenschaften betont und sogar manchmal dem Kind als „Erbe“ angelastet. Oft wird die Trauer aufgeschoben und kommt erst später in der Pubertät so richtig zum Durchbruch. Manche Pubertätskrise wird verschärft durch unverarbeitete Trauer- und Verlusterfahrungen.

Wie können wir als Mitarbeitende uns auf solche Kinder einstellen oder ihr Verhalten als Teenager und Jugendliche einordnen?

Alles darf gesagt werden

Trennungskinder brauchen Freiräume, in denen sie offen und ehrlich über ihre Gefühle und Empfindungen reden können. Nach der Trennung leben sie in zwei Welten. Das nicht nur äußerlich, wenn sie eine Woche bei Papa und eine Woche bei Mama wohnen, was heute als beste (?) Lösung propagiert wird.
Sie lernen ihre echten Gefühle zu verbergen, wie zum Beispiel: „Ich darf bei Mama nicht zeigen, dass ich Papa vermisse.“ Oder „Ich würde meinem Vater gerne mal sagen, wie es mich verletzt, dass er sich nie von sich aus meldet, aber dann bricht er vielleicht den Kontakt ganz ab.“ In ihnen herrschen oft widerstreitende Gefühle: Wut und Sehnsucht; Verletzt sein und Verständnis; Hass und Liebe. Aber bei wem kann ich sagen: „Meine Mutter ist ein Monster!“ ohne dass das Gegenüber entsetzt ist und alles schnell relativiert?
Wir müssen Jugendliche ermutigen ihre Gefühle auszusprechen und aushalten, dass sie im Zorn mehr sagen, als sie eigentlich wollen. So sagt ein 18 Jähriger: „Meinem Vater verzeihen? Niemals! Das, was er uns angetan hat, ist wie eine Atombombe. Ich will nicht lieb sein. In dieser Sache ist mein Herz kälter als das ganze Universum. Ein bisschen Hass ist auch dabei.“ (Wendt S. 102)

Hassgefühle haben immer die Tendenz zu zerstören. Entweder sich selbst in Bezug auf das Selbstwertgefühl bis hin zum Ritzen und zu Selbstmordgedanken, oder andere in Form von Vandalismus, Mobbing, Sadismus oder gar bis zum Amoklauf.
Wut braucht ein Ventil, und wo wäre es hilfreicher als bei einem Freund, einem Mitarbeiter seine Verletzungen zu zeigen. Oder in einer Teenagergruppe sich mit den unbeantwortbaren Warum-Fragen auseinanderzusetzen und seine Tränen zu Gott zu bringen, der sie wertschätzt (Psalm 56,9)?
Manchmal kann man lange den Eltern nicht vergeben, und kein Kind sollte zur Vergebung gedrängt werden. Aber Heranwachsende kann man ermutigen, das offene, partnerschaftliche Gespräch mit den Eltern zu suchen, um sich gegenseitig zu verstehen und mögliche Versäumnisse und Schuld einzugestehen. Das befreit und schafft bereinigte Beziehungen.

Wem mache ich es Recht?

Scheidungskinder entwickeln ein gutes Gespür für andere Menschen. Sie können Stimmungen und Gefühle oft sehr genau einschätzen, weil sie gelernt haben genau zu beobachten. Sie wissen, was sie bei wem sagen dürfen, und wie sie etwas erreichen. Manche sind Meister im Manipulieren oder Gegeneinanderausspielen. Sie fühlen sich schnell verantwortlich und sind immer bemüht es jedem Recht zu machen. Sie haben Angst vor Liebesentzug, wenn sie eine eigene Meinung äußern. Deshalb geben sie manchmal eigene Bedürfnisse nicht zu und machen vorschnell Kompromisse. Das erschwert aber echte Beziehungen. Deshalb sollten wir sie immer wieder ermutigen, zu sagen, was sie sich wirklich wünschen und welche Dinge ihnen wichtig sind.

Gerade Jungen fühlen sich oft für die „verlassene“ Mutter verantwortlich, werden manchmal zum Partnerersatz und schaffen es nicht, sich aus
der Rolle zu lösen. In Gesprächen bin ich immer wieder erstaunt, wie weit Kinder und Jugendliche ihre eigenen Bedürfnisse verleugnen, beispielsweise Bedürfnisse nach Selbstständigkeit, oder einer eigenen Wohnung. Das tun sie, um den Wünschen eines Elternteils gerecht zu werden, auch wenn er/ sie längst wieder in einer Partnerschaft lebt und durchaus eigene Träume verwirklicht. Hier sollten wir Jugendliche ermutigen sich abzunabeln, ihr eignes Leben zu entdecken und zu gestalten. Dabei brauchen sie erfahrene Gesprächspartner, die ihnen zeigen was „normal“ ist und wann Eltern zu Recht Hilfe erwarten dürfen. Sie müssen lernen in einer Freundschaft ihre Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren, um beziehungsfähig zu werden.
Ein Mädchen sagte: „Ich erreiche meinen Freund gar nicht, weil er nie sagt, was er wirklich denkt. Entweder gibt er mir immer Recht oder er zieht sich ganz zurück.“
Sich streiten und angemessen auseinanderzusetzen kann man lernen. Streit gehört dazu. Scheidungskinder neigen dazu in Krisenzeiten zu
flüchten. Bei Konflikten wird schnell gesagt: „Dann zieh ich zu Papa!“ Aber in der Regel flackern auch da bald die Konflikte wieder auf. Einige flüchten in die Sprachlosigkeit oder ins Internet, so dass nichts mehr sie erreicht. Manche finden nur in ihrer Peergroup noch Unterstützung. Allerdings sind sie dort besonders gefährdet durch Drogen und Alkoholmissbrauch wie Statistiken belegen.
Jungen zeigen ein erheblich größeres Risiko straffällig zu werden. Insgesamt sind Scheidungswaisen stärker suizidgefährdet. Wir sollten immer wieder das persönliche Gespräch suchen, eine Beziehung aufbauen, in der auch tiefe Dinge an- und ausgesprochen werden können. Gesprächsfähig werden heißt auch beziehungsfähig werden.

Wie wird man ein guter Vater?

Wenn der Traum vom gemeinsamen Familienglück zerbrochen ist, zerbrechen in vielen Fällen auch gemeinsame Rituale, gleiche Erziehungsziele und –methoden und gegenseitige Wertschätzung.
Vor allem die Vaterbeziehung wird geschwächt, entweder durch dessen eigenes Desinteresse am Kind oder durch rachsüchtige, egoistische Einflussnahme der Mutter. Manche Frauen demontieren im Hass das Vaterbild völlig und schaden damit sich und ihren Kindern. Mädchen im heranwachsenden Alter brauchen den Vater als Spiegel, der ihnen sagt. „Du bist schön und wertvoll!“ Fehlt er, sind sie schnell verunsichert in Bezug auf ihren Selbstwert und ihre Rolle als Frau. Sie neigen dazu, vorschnell Bindungen einzugehen, um sich hier den nötigen Halt und die
Bestätigung zu holen. Sie brauchen immer wieder „Liebesbeweise“, weil sie tief verunsichert sind.
Jungen suchen den Vater, der ihnen die Welt erklärt, mit ihnen das Abenteuer wagt und ihnen die Rolle als Mann und Vater vorlebt.
Christoph erklärt: „Mir fällt es schwer, wichtige Entscheidungen zu treffen. … Vater und Sohn intim – das wär’s gewesen… Das wichtige Alter für ein Kind ist zwischen zehn und zwölf. Da will es wissen: was ist gut, was ist schlecht? Was ist im Umgang mit Leuten wichtig? Was ist überhaupt wichtig im Leben?“ (Wendt S.160)

Alle wünschen sich eine „richtige“ Familie, haben aber gleichzeitig die Befürchtung, dass sie es nicht schaffen durchzuhalten.

Jungen haben Angst Vater zu werden, und möglicherweise das Kind zu enttäuschen oder weil sie nicht wissen, wie sie die Vaterrolle leben sollen.
Jugendliche brauchen Familienkontakte, um ein eigenes, belastbares Familienkonzept zu entwickeln. Oft sind das noch die Großeltern, aber sie verschwinden auch zusehends als stabilisierender Faktor. Hier können die Familien der Gemeinde, Familien der Freunde oder der Mitarbeitenden eine wirkliche Hilfe sein. Da erleben sie, wie die Liebe sich wandelt, wenn aus der Leidenschaft Vertrautheit und Fürsorge wird, wie man miteinander Krisen durchlebt und nach dem Streit sich wieder versöhnt.

Auch das Gottesbild muss erneuert werden, wenn ein Kind den Vater als abwesend, negativ oder gleichgültig erlebt hat. Gott ist wie der beste Vater, den wir uns vorstellen können oder wie wir uns den besten Vater wünschen. Gott ist der Zuverlässige und Beständige (Psalm 27,10) So entgeht man dem Vergleich mit dem eigenen Vater. Das kann einen neuen Zugang zu Gott eröffnen.

Warum zerbrechen einige an schwerer Lebensführung und andere gehen stark daraus hervor? Die Resilienzforschung – Resilienz ist die Fähigkeit, mit Problemen und Traumata umzugehen – hat herausgefunden, dass Menschen, die einen zuverlässigen, zugewandten Begleiter in Krisenzeiten hatten, deutlich besser damit zurechtkamen. Für wen können wir dieser Mensch sein?