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Mental Health

Macht uns unsere Gesellschaft krank?

Steigende Burnout-Raten, Dauerstress und emotionale Überforderung: Wie uns unsere Gesellschaft belastet – und was wir dagegen tun können.

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29. November 2022
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6 min
Frau

„In der Zukunft wird alles besser. Entspannter. Maschinen übernehmen unsere Arbeit. Wir werden so viel Zeit (und Langeweile!) haben wie noch nie.“

So der O-Ton in den Zukunftsprognosen von ziemlich vielen klugen Menschen (Soziologen, Historiker, Philosophen, Gesellschaftstheoretiker) quasi seit der Industrialisierung. Kein Witz. Die Realität – eher eine emotionale Pandemie:

· Alle 48 Minuten tötet sich in Deutschland ein Mensch selber

· Die Zahl der Burnout-Diagnosen hat sich im letzten Jahrzehnt fast verdoppelt

· Jeder vierte Deutsche erlebt 1x im Jahr Depressions- oder Angstzustände

· Deutschlandweit sterben jedes Jahr mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und HIV zusammen

Die Millionen-Frage ist jetzt natürlich: WARUM!? Warum lagen die Wissenschaftler mit ihrer Prognose so falsch? Warum sind wir eigentlich 24/7 so gestresst, warum ist uns ständig immer alles zu viel und warum ist “Mental Health” so ein krasses Brennpunkt-Thema?

WIE TICKT UNSERE GESELLSCHAFT?

Es liegt natürlich auf der Hand, unserer Gesellschaft die Schuld zu geben. Aber... stimmt das? Ist unsere Gesellschaft schuld? Macht uns unsere Gesellschaft krank?

Um das zu beantworten, müssen wir die DNA und Mentalität unserer Gesellschaft verstehen. Die lässt sich in 5 Überzeugungen zusammenfassen – die du sicher schon gehört hast und vielleicht sogar (bewusst oder unbewusst) teilst. Was deutlich wird: Unsere Gesellschaft stellt uns ALLE vor Herausforderungen – und das kann sich auf unsere mentale Gesundheit auswirken.

1. „Deine Wahrheit ist nicht unbedingt meine Wahrheit“

… Einer unserer Dauerbrenner! Wir stecken im Zeitalter der Wissenschaft – und knabbern an den Nebenwirkungen. Wir wissen heute mehr über Atome oder das Universum als je zuvor. Aber ein schlauer Philosoph namens Habermas hat uns beigebracht: Die Wissenschaft kann sagen, wie du etwas machst. Aber nicht, ob du es machen sollst. Bei allem Vertrauen in das "wie" haben wir das "warum" verloren. Warum wir da sind. Warum wir uns nach Liebe sehnen.

Enttäuscht von der Wissenschaft haben wir uns als Gesellschaft neu orientiert, haben uns in einen postmodernen Relativismus katapultiert. Das zeigt sich im Trend-Wert Toleranz – meine Wahrheit muss nicht mehr deine Wahrheit sein – und in einer allgemeinen Skepsis: Gibt es überhaupt absolute Wahrheit? Es ist cool und hip geworden, alles in Frage zu stellen: die (Lügen)presse, Corona-Daten, die Kompetenz unserer Lehrer.

-> Diagnose: Orientierungslosigkeit

Was nach absoluter Freiheit klingt, ist eigentlich Chaos. Moderne Skepsis („Ich will mich nicht festlegen“) und Toleranz („Ich darf mich nicht festlegen“) machen das Leben zum großen Twister-Spiel. Wir biegen und drehen uns, um ja niemand vor den Kopf zu stoßen. Wir stehen nicht mehr ein für Positionen und hören auf, eigene zu entwickeln. Die Folge: eine unglaubliche Orientierungslosigkeit einer Gesellschaft ohne absolute Werte und Wahrheiten.


2. „Du kannst alles erreichen“

„Das Leben ist kein Ponyhof“ war früher. Nach dem Krieg. Heute ist unser Leben im Westen ein Ponyhof – mit Glitzer. Und Einhorn. Zumindest auf den ersten Blick. Unser Narrativ: Vom Tellerwäscher zum Millionär. „The sky has no limit.“ Klingt doch erstmal gut, oder? Aber der "American Dream" wird immer mehr zum Alptraum.


-> Diagnose: Leistungsdruck

Denn aus dem schönen „Du kannst alles erreichen“ macht unsere Leistungsgesellschaft schnell ein „Du musst was erreichen“. Wenn alles möglich ist, dann warst du nicht ehrgeizig, intelligent oder begabt genug, wenn du es nicht weit bringst. Wenn du kein Startup gründest, nicht die Welt rettest. Wenn du kein Vorzeige-Leben auf Insta hast. Klar führt das zu Leistungsdruck.

3. „Bleib wie du bist“

»Wer bin ich?« ist wohl die zentralste Frage unserer Zeit. Die Antwort unserer Gesellschaft wird auf fast jede Geburtstagskarte gehandlettert: Sei wie du bist, bleib wie du bist, du bist gut so wie du bist – bleib dir selbst treu. Manchmal noch mit dem (pseudo)-sozialen Nachsatz „solange du niemandem schadest“.

Seit Rousseau bestimmen wir unsere Identität selbst. Deutlich wird das aktuell in der Gender-Identity-Debatte und der Auflösung des binären Geschlechtermodells. Oder in neuen Rechtfertigungs-Tendenzen: Alles ist ok, Fehler gibt es nicht mehr. Was früher Sünde war und Buße brauchte ist heute Psyche und braucht Therapie. Deutlichstes Beispiel: Die Bond-Bösewichte waren früher „böse“. Heute sind sie Psychopaten.


-> Diagnose: Identitätskrise

Das Problem: Identität, die wir uns selbst zuschreiben müssen, ist immer hochgradig instabil. Identitätskrisen sind vorprogrammiert. Warum? Erstens funktioniert es nicht. Niemand genügt seinen Ansprüchen. Und wenn wir unser Studium nicht packen, stehen wir dumm da. Oder wenn wir uns nicht so lustig, liebenswert und schön fühlen, wie die anderen – es vielleicht tatsächlich nicht sind. Was dann? Zweitens reicht es nicht. Wir Menschen brauchen Bestätigung von außen. So sind wir gemacht. Deshalb boomt z. B. unsere fragile Instant-Gratification-Like-Kultur auf Social Media.

4. „Die Welt wird immer schlechter“

Globale Pandemie. Black Lives Matter. Klima-Chaos. Kriege. Es geht bergab. Zumindest fühlt sich das so an. Und wie das ebenso ist beim Bergabfahren: Es wird

immer schneller. Immer unkontrollierter. Unsere Gesellschaft hat das, was man säkularen Fortschrittsoptiminsmus nennt, verloren. Seit dem 11. September 2001 (spätestens seit dem Zusammenbruch des amerikanischen Immoblilienmarkts 2007) glauben wir zum ersten Mal seit der Industrialisierung nicht mehr, dass es unsere Kinder besser haben werden als wir. Unser Grundzustand: Eine allgemeine Zukunftsskepsis. Wir ahnen: Der nächste Crash, die nächste Pandemie, die Klimakrise wird kommen. Vielleicht schon morgen.


-> Diagnose: Zukunftsängste

Dazu konsumieren wir Nachrichten mittlerweile in Echtzeit. Wir hängen 5-9h täglich am Handy. Wir sehen auf TikTok, wie die Flut durch Ahrweiler rauscht und bangen mit den Nachbarn auf dem Dach. Podcast-Guru John Eldredge spricht von „empathy overload“, von „compassion fatigue“: Emotionaler Überforderung und ein ausgelaugter Mitgefühl-Tank. Unsere Seelen haben Kapazität für ein mittelalterliches Dorf – aber wir tragen die Last der ganzen Welt. Und die fühlt sich stündlich schwerer an. Klar, dass wir mit Zukunftsängsten kämpfen.

5. „Alles muss immer verfügbar sein“

Erdbeeren im Winter. LTE auf dem Berggipfel. In unserer Welt ist unmöglich möglich geworden. Alles muss immer verfügbar sein. Selbst wir.

Früher waren wir in unserer Fähigkeit zu Arbeiten limitiert. Heute haben wir diese Grenzen limitiert: Seitdem Edison die elektrische Glühbirne erfunden hat (1879) gibt es keine zeitliche Beschränkung mehr – wir können selbst nachts arbeiten. Und seit der Erfindung des iPhones (2007) ist die räumliche Beschränkung weg – wir arbeiten von überall.

-> Diagnose: Dauerstress

Wir sind immer und überall verfügbar. Das bedeutet Druck, Dauerbelastung, Dauerstress. Wir schalten unsere Geräte nicht mehr ab und verlernen dabei immer mehr, selbst abzuschalten.


ALSO, MACHT UNS UNSERE GESELLSCHAFT KRANK?

Nein. Aber sie belastet uns. Stellt uns vor Herausforderungen. So wie jede Gesellschaft ihre Zeit herausfordert. Vor 100 Jahren ging es um Alternativlosigkeit, Perspektivlosigkeit und ideologische Fragen. Unsere Herausforderungen heute: Orientierungslosigkeit, Leistungsdruck, Identitätskrisen, Zukunftsängste und Dauerstress.

Was können wir tun?

Da gibt es ein paar praktische Tools. Wir können überflüssige Apps auf unserem Handy deinstallieren, Push-Benachrichtigungen ausschalten. Genug schlafen. Nachrichten gezielter konsumieren. Gebetsanliegen für Freunde, Politik, Gesellschaft, Familie, etc. auf verschiedene Wochentage aufteilen. Nein zu guten Sachen sagen lernen. Den Sabbat als Ruhetag re-etablieren. Social Detox lernen.

Und wir können umdenken lernen. Als Christen haben wir gute Antworten – echte Alternativen! – für die Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die gute Nachricht ist heute noch so gut und relevant, weil wir bei Gott Orientierung, Perspektive, Identität, Sicherheit und Ruhe finden. Warum? Weil wir in der Welt sind – aber Teil von Gottes Reich, das so ganz anders funktioniert.

Unsere Perspektive als Christen

Wie Gott sich das vorstellt, breitet Jesus zum Beispiel in der Bergpredigt aus. Dort stellt er unsere gesellschaftlichen Prinzipien auf den Kopf. Und das verändert alles. Nicht, weil unsere Gesellschaft so schlecht oder bedrohlich ist, wie wir als Christen oft glauben möchten – aber weil wir sehen, wie unglaublich schön und befreiend Gottes Gesellschaftsentwurf im Vergleich dazu ist:

Bekommen Christen trotzdem Burnout? Ja! Christsein heißt nicht, ohne Pannen über die Schlaglöcher-Piste unserer Gesellschaft zu holpern. Die Mental Health Krise ist eine Realität. Gottes Reich aber auch. Deswegen gibt es Hoffnung. Und deswegen ist unser Glaube auch heute – vielleicht gerade heute! – noch die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.