Lieber Salomo
Spürt man, dass das Leben zu Ende geht, hält man inne und betrachtet sein Leben. Wie sah David auf sein Leben zurück? Vielleicht sah Davids Abschiedsbrief so aus...
Lieber Salomo,
wir haben schon viele Dinge besprochen, die für dich wichtig sind, wenn du nach meinem Tod die Regierung übernimmst. Doch eines habe ich nicht geschafft, dir persönlich zu sagen. Es schmerzt mich immer noch zu sehr, wenn ich daran denke. Am meisten quält die Erkenntnis, dass ich aus meinen eigenen Fehlern nicht gelernt habe. Aber ich will vorne anfangen: Es geht um deine Mutter Batseba. Wobei – eigentlich geht es nicht um sie. Es hätte auch jede andere Frau sein können. Während ich faul auf meinem Palastdach spazieren ging, sah ich sie beim Baden. Als Mann weist du genau, was in diesem Augenblick im meinem Schädel abging. Doch ich Narr habe nicht nur einmal hingeschaut, sondern bin zum Spanner geworden. Ich habe mir vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn ich diese Schönheit in meinem Bett hätte. Ich wusste, dass diese Gedanken falsch waren, aber sie machten mir so viel Spaß. Der Weg von der Phantasie bis zur konkreten Tat war dann nur noch kurz.
Auch wenn es deine Mutter betrifft: Diese Nacht hat in meinem Leben viel zerstört. Deine Mutter wurde schwanger. Damals war sie jedoch mit Uria verheiratet – wäre die Geschichte rausgekommen, hätte ich gesteinigt werden müssen. Also habe ich versucht, Uria das Kind unterzuschieben und als das nicht gelang, habe ich Uria umbringen lassen. Als wenn die Schuld, ihm die Frau zu stehlen, nicht schon groß genug gewesen wäre, musste ich ihm auch noch das Leben nehmen. Erst durch die Strafrede von Nathan kam ich wieder zur Besinnung und habe Gott um Vergebung gebeten. Obwohl Gott mir meine Sünde vergab, konntest du deinen älteren Bruder nie kennen lernen, da Gott ihn kurz nach seiner Geburt sterben ließ.
Salomo, achte auf dein Herz. Behüte es mehr als alles andere. Du kannst nicht beeinflussen, ob schöne Frauen deine Augen auf sich ziehen. Aber lass bitte nicht zu, dass die Versuchung in deinem Inneren regiert. Sie hat mein Leben zerstört. Gott hat mir zwar alles vergeben, aber ich war durch meine eigene Sünde gehemmt, als einige meiner Söhne meinem Vorbild nacheiferten: Amnon begehrte seine Halbschwester, er vergewaltigte sie – und ich schwieg. Absalom brachte Amnon um, obwohl er sich nicht zu seinem Richter erheben durfte – und ich blieb passiv. Am Ende schändete Absalom meine Frauen, während ganz Jerusalem zusah. Sie eiferten meiner Sünde nach und ich ließ sie gewähren. Ich hatte aus meiner eigenen Schuld nichts gelernt. Nun habe ich schon drei meiner Söhne beerdigen müssen und blicke auf mein Leben zurück. Mein lieber Salomo, ich bitte dich herzlich: Folge meinem Vorbild in diesen Punkten nicht. Toleriere keine Sünde – weder in deinem eigenen Leben noch bei den Personen, für die du verantwortlich bist. Du kennst den alten israelitischen Weisheitsspruch: „Mehr als alles behüte dein Herz, denn dein Herz beeinflusst dein ganzes Leben!“ Bitte halte dich daran – auch wenn es schwer fällt und dir als König scheinbar alle Möglichkeiten offen stehen. Das Einzige was ich in diesem Zusammenhang richtig gemacht habe, war, vor Gott zu zerbrechen und ihm meine Schuld zu gestehen. Er vergab mir und ich werde zu ihm gehen.
Wahrscheinlich hast du in meinem letzten Brief etwas anderes erwartet, vielleicht weitere Hinweise für ein gelingendes Königtum, aber keine Moralpredigt. Doch wenn du genauer hinschaust, wirst du entdecken, welchen Wert diese Worte für dich haben können.
Gott segne dich! Ich liebe dich.
Dein Vater David