Keiner nimmt sich vor, abhängig zu werden…
Genauso unterschiedlich wie die Menschen sind, so verschieden ist auch der Verlauf der Abhängigkeit. Aber was genau passiert im Körper eines Abhängigen? Wie kommt es, dass er süchtig wird?
Was haben Adrian (16, Abiturient), Kerstin (42, Krankenschwester), Max (15, Schüler), Olaf (39, Außendienstmitarbeiter), Brigitte (73, Rentnerin) und Phillip (5, Kindergartenkind) gemeinsam?
Außer, dass sie sich nicht kennen und jeder zu einer Gemeinde gehört, haben sie ein Problem mit Suchtmitteln oder süchtigem Verhalten. Sucht und Missbrauch ist kein Phänomen der Jugend und „den typischen Alkoholiker oder Drogenabhängigen“ gibt es nicht.
So unterschiedlich die Menschen sind, so vielfältig ist der Verlauf und das Gesicht einer Abhängigkeitsentwicklung. Kein Mensch nimmt sich vor abhängig zu werden und trotzdem trifft es so viele Menschen!
Adrian konsumiert mit seinen Kumpels gelegentlich mal einen Joint, um vom Schulstress und den Konflikten mit den „nervigen“ Eltern am Wochenende abzuschalten.
Kerstin nimmt zu häufig Schmerzmittel, um ihre Migräne in den Griff zu bekommen und auf der Arbeit als Krankenschwester fit zu sein. Dabei merkt sie nicht, dass die Medikamente längst zur täglichen Routine geworden sind.
Max trifft sich mit anonymen Freunden online, um in der virtuellen Welt in eine Rolle zu schlüpfen und gegeneinander zu spielen. In letzter Zeit leiden darunter nur immer häufiger seine Kontakte mit „echten Menschen“. Die Schule hat er deswegen auch schon mal geschwänzt.
Olaf braucht nicht nur ein Feierabendbier, Geschäftsabschlüsse werden natürlich auch mit Sekt gefeiert und wenn er Konflikte mit seiner Frau hat, zieht er sich am liebsten mit einer Flasche Rotwein in den Hobbykeller zurück.
Brigitte trinkt seit dem Tod ihres geliebten Mannes vor zwei Jahren jeden Tag ihr Schnäpschen irgendwie tröstet das.
Phillip fehlt sein Vater. Seitdem sich die Eltern getrennt haben, vermisst er ihn sehr. Mama muss so oft arbeiten und wenn sie da ist, ist sie abgespannt. Immer häufi ger hilft der Fernseher darüber hinweg. Nur leider fehlen die so wichtigen Gespräche, die Aufmerksamkeit und der richtige Papa.
In der Regel haben Abhängigkeiten einen ähnlichen, nämlich schleichenden, Verlauf. Und ohne es zu merken, werden Grenzen vom Genuss über den Missbrauch zur Sucht überschritten. In der Regel merken das Angehörige und Freunde zuerst, für Betroffene ist es oft ein langer Weg bis zur schmerzhaften Selbsterkenntnis. Dieser Weg ist davon geprägt, sich selbst und anderen beweisen zu wollen, das man alles im Griff hat; wer gibt schon gern zu, ein nicht kalkulierbares und in unserer Gesellschaft stigmatisiertes Problem zu haben?
Wie kann man süchtiges Verhalten aber erklären? Warum schadet ein Mensch sich selbst oder zerstört sein eigenes Leben und das seiner Familie?
Zunächst macht jeder irgendwann einmal die Erfahrung, dass auf den Suchtmittelkonsum (Alkohol, Drogen, Nikotin, Medikamente,…) oder das Problemverhalten (z.B. Kaufsucht, Computersucht, Spielsucht, Essstörungen, etc.) eine angenehme Konsequenz folgt.
Für Adrian ist es einfach cool und mal eine ganz andere Erfahrung, wenn er Cannabis raucht. Bei Kerstin gehen von den Tabletten die chronischen Belastungskopfschmerzen weg. Max findet es spannend Online-Spiele zu machen. Olaf kann sich bei einem Bier entspannen. Brigitte empfindet Trost und innere Ruhe und Phillip ist einfach abgelenkt und fasziniert.
Unser Gehirn lernt ständig. 100 Milliarden (!) Nervenzellen sind permanent damit beschäftigt Eindrücke, Erfahrungen, Bilder usw. abzuspeichern, mit bisherigem Wissen zu vergleichen, in Zusammenhang zu bringen und wieder abzurufen. Und unser Gehirn ist auch dafür da, zu steuern, wie wir uns fühlen. Das Belohnungssystem z.B. ist ein hochkompliziertes Zusammenspiel verschiedener Gehirnareale bei denen die sog. Übertragungsstoffe dafür sorgen, dass es uns bei einem schönen Ereignis (z.B. ein schönes Essen, ein gutes Gespräch, eine gelungene Arbeit, ein schöner Spaziergang, eine fröhliches Vogelgezwitscher, …) gut geht und wir anstreben, wieder etwas Schönes zu erleben.
Bestimmte Stoffe oder auch Verhaltenweisen haben das Potential, genau an dieser Stelle im Gehirn einzugreifen und ein angenehmes Gefühl auszulösen. Unser Gehirn speichert solche Erfahrungen als erfolgreiche Strategie zur Erreichung von Wohlbefinden (einem menschlichen Grundbedürfnis) ab. Wird dieses Verhaltensmuster oft genug bedient, dann löst das Gehirn immer häufi ger diesen „erfolgreichen“ Weg aus. Nikotin, Alkohol, Heroin, Kokain, Cannabis, Medikamente verändern zusätzlich noch die Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn und stören das gesunde Arbeiten des Belohnungssystems. Das heißt, ohne Suchtmittel ist das Gehirn zunehmend nicht mehr in der Lage, dafür zu sorgen, dass etwas als schön und angenehm empfunden wird. Das innere Gleichgewicht kann nur noch über das Suchtmittel bzw. süchtige Verhalten kurzzeitig erreicht werden. Der Mensch ist psychisch abhängig!
Wie schnell sich eine Sucht entwickelt hängt von vielen Faktoren ab, etwa von der Wirkungsweise des Suchtmittels, der Häufigkeit und der Dosis des Konsums, den körperlichen und genetischen Gegebenheiten der Person, der psychischen Konstitution und dem Persönlichkeitsstil/-merkmalen.
Da die Grenze zwischen Genuss und Missbrauch fließend ist, wird die Grenzüberschreitung häufig erst zu spät realisiert. Dann ist häufig schon die Falle zugeschnappt und es hat sich ein Kreislauf eingestellt, welcher aus süchtigem Verhalten, kurzfristig angenehmen Folgen, Schuld- und Schamgefühlen, Entzugserscheinungen und dem Bedürfnis, wieder zu konsumieren aufrechterhalten bleibt, ohne Rücksicht auf immer deutlicher zu Tage tretende Langzeitfolgen.
Adrian hat in letzter Zeit Probleme mit der Konzentration und kommt irgendwie nicht mehr so richtig „aus dem Knick“, Kerstin kann nicht mehr ohne Medikamente sein, Max hat keine Freunde mehr, Probleme in der Schule und mit der Körperhygiene nimmt er es auch nicht mehr so ernst. Olaf fährt oft unter Alkohol Auto, der Führerscheinverlust und damit auch der Arbeitsplatzverlust ist nur eine Frage der Zeit. Brigitte hat immer mehr Probleme mit dem Schlafen und braucht jetzt auch morgens schon einen Schnaps, um in die „Gänge zu kommen“. Phillip ist vielleicht noch nicht abhängig, aber sein ungestilltes Bedürfnis nach echter Beziehung und Zuwendung stellt eine Weiche in seinem Leben, welche ihn für spätere Erfahrungen im Konsum mit Suchtmitteln anfällig machen werden, wenn er Gelegenheit dazu bekommt.
Abhängigkeiten entwickeln sich über Jahre. Immer mehr Verhaltensweisen „stellen sich in den Dienst“ der Sucht. Eine Änderung wird je länger desto schwerer. Einfach bloß das Suchtmittel weglassen reicht längst nicht aus.
Es braucht die Änderung des ganzen Lebensstils, einen Neuanfang, eine neue Lebensausrichtung. Wie gut, wenn Jesus diese Veränderung ist, wenn er den Mangel ausfüllt. Dann gibt es eine echte Chance auf einen Neuanfang.