Jugendliche diskutieren nicht. Sie gehen!
„Die Jugendlichen diskutieren nicht. Sie gehen!“ Wer sich ein wenig in der christlichen Landschaft auskennt, der weiß, wie wahr diese Aussage ist. Die gute Nachricht ist: Jesus ist der Herr der zweiten Chance. Eine Gemeinde, in der Alt und Jung gemeinsam das Evangelium von der Versöhnung bezeugen und leben.
WARNUNG! Wer diesen Text liest, der verlässt die Komfortzone. Dieser Artikel ist nichts für schwache Nerven, Harmoniesüchtige und solche, die leidenschaftslos den Weg des geringsten Widerstandes gehen wollen.
FSK: Freigegeben für Jugendliche und Erwachsene, die Nachfolge leben wollen, koste es, was es wolle. Niemand sage später, er habe es nicht gewusst.
Frank schüttelt den Kopf. „Das geht mir nicht rein!“, sagt er nun schon zum dritten Mal zu sich selbst. Seine Stimmung ist wie das Wetter. Der Regen klatscht gegen die Windschutzscheibe seines apfelgelben Twingos. Wenn ihm in der Dunkelheit ein Auto entgegen kommt, reflektiert die patschnasse Straße das Scheinwerferlicht und schneidet ihm wie ein Sägeblatt in die Augen.
Frank ist nur halb bei der Sache. Immer wieder geht ihm Petra durch den Kopf. Nachdem er deutlich zu schnell durch eine Kurve gefahren ist weiß er, dass er anhalten muss. Bei der nächsten Gelegenheit hält er auf einem Haltestreifen für den Schulbus. Nachts kommt hier keiner, denkt er. Er zieht die Handbremse, schaltet den Motor ab und atmet tief durch. Was hat er neulich auf einer Jugendkreisleiterschulung gehört? „Die Jugendlichen diskutieren nicht. Sie gehen!“. Genau das hat er jetzt wieder erlebt. Petra ist die vierte, die nicht mehr kommt – und das Jahr ist noch nicht zur Hälfte um. „Wenn das so weitergeht, gehe ich auch!“ sagt er resigniert und schlägt gegen das unschuldige Lenkrad.
Die Jugendlichen diskutieren nicht. Sie gehen!
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Fangen wir mit der schlechten an: Es gibt ein zu spät. Es gibt eine Realität, die stärker ist als alles Hoffen und Schönreden. Hier geht die Saat einer Vergangenheit auf, in der man misstrauisch jedes Verständnis gegenüber den Jugendlichen vermissen ließ lies Galater 6,7. Hier wird die Regel zur Wahrheit: Wer immer Recht hat, ist asozial. In einem solchen Fall wird man die Jugendlichen nicht halten können. Man kann schon froh sein, wenn sie gehen, ohne ständig gegen die alte Gemeinde zu schimpfen und sie lächerlich zu machen. Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Das Beste daran ist, dass sie nicht nur für gute und harmonische Situationen gilt. Sie hat ihre Wurzel in der Wahrheit, dass Jesus „der Herr der zweiten Chance“ ist. Eine Gemeinde, in der Alt und Jung gemeinsam das Evangelium von der Versöhnung bezeugen und leben, erregt positive Aufmerksamkeit. Sie steht voll gegen den Trend der Gesellschaft, verwirklicht aber, was sich viele (78%) in Umfragen wünschen, einen Ort der Geborgenheit. Damit kommen wir an den Standard der Urgemeinde zurück: Apostelgeschichte 2,42-47.
Auf in die Praxis:
1. Die Gemeinde – ein eigenes Völkchen für sich
Die Gemeinde ist eine soziale Einheit. Das hat sie mit einem Sport- oder Freizeitverein gemeinsam. In ihrem inneren Charakter ist sie aber damit nicht zu vergleichen. Die Menschen einer Gemeinde sind eine Großfamilie, bzw. ein Volk. Durch die Wiedergeburt werden wir mit dem Heiligen Geist getauft, der uns in die Gemeinde eingliedert 1. Korinther 12,13. Damit gehöre ich dazu. Es gibt kein Ein- oder Austreten nach Einschätzung der Lage. Ob mir meine Familie oder mein Volk passt oder nicht – ich bin ein Teil davon. Nicht jede Situation darin ist ideal, aber ich kann nicht einfach die Koffer packen und gehen. Im Gegenteil: Als Glied der Familie und des Volkes habe ich meinen Anteil dazu beizutragen, dass Gottes Absichten Realität zwischen Menschen werden.
Zur Jüngerschaft gehört die Gemeindezugehörigkeit, und die ist nicht immer zum Null-Tarif zu haben.Diese Wahrheit müssen wir die jungen Leute lehren. Es geht dabei nicht um Werbung für die eigene Gemeinde, sondern um Werbung für Gottes Gedanken und Absichten. Zur Jüngerschaft gehört die Gemeindezugehörigkeit, und die ist nicht immer zum Null-Tarif zu haben. Je schwieriger die Situation, umso mehr fordert uns Gott heraus. Aber gerade dann bestehen die besten Chancen, Gottes wunderbares Eingreifen kennen zu lernen (Test: In welchen Situationen erlebten die Menschen der Bibel die Wunder Gottes? – Na siehst du?!). Wer mit seinem Engagement für Gottes Sache geizt, der verliert sein (junges) Leben an eine saft- und kraftlose Mittelmäßigkeit. Geiz ist bei Gott nicht geil!
2. Die Qualität der Jüngerschaft wird in der Qualität der Evangelisation gelegt
Junge Menschen suchen Anerkennung, Geborgenheit, Unterhaltung, Abwechslung. Unsere Missionsmethoden haben sich darauf eingestellt. Mit viel Kreativität gehen jugendevangelistische Aktionen an den Start. Man geht auf das Interesse der „Zielgruppe“ ein und holt sie ab. Das ist so lange gut und richtig, wie wir dadurch als kompetent und glaubwürdig (d.h. würdig, uns zu glauben) erkannt werden. Schwierig wird es, wenn als Summe unserer Verkündigung Jesus als der Erfüller unserer Bedürfnisse gesehen wird. Dann wird der junge Christ seine Nachfolge unter der Fragestellung beginnen: „Was bringt mir dies und das?“. Und wenn die Gemeinde es nicht bringt, dann geht man in die nächste…
Keine Frage: Jesus beschenkt, und das nicht zu knapp. Aber er beruft auch, und das ebenfalls nicht zu knapp. Nach Matthäus 6,33 haben wir uns im Konfliktfall zwischen unseren und den Interesse Jesu nach den seinen zu richten. Das ist mit Selbstverleugnung gemeint, und ohne die ist ein vernünftiges Christsein nicht zu haben (Matthäus 16,24-26; im Zusammenhang, Verse 21-23, stellt Jesus seinen Tod als Beispiel dar).
Von dieser Herausforderung sollten wir mit Weisheit schon reden, wenn wir Menschen mit Jesus vertraut machen. Alles andere ist Etikettenschwindel.
3. Jugendliche leben aus Beziehungen
Darin sind sich die Soziologen einig. Junge Leute wollen dazu gehören. In der Gruppe finden sie Identität, Anerkennung und Motivation. Gesellschaftlich sammelt sich das alles in einer Jugendkultur, die bis in die Sprache hinein definiert, was „in“ ist. Vor dieser Jugendkultur haben viele Gemeinden Angst, weil sie nicht verstehen. Man grenzt sie aus und definiert sie pauschal als böse, sündig, teuflisch. Dabei ist das eine riesige Chance, dass Jugendlichen Beziehungen wichtig sind. Wenn sie erleben, dass Ältere sie einladen, sich im Gottesdienst neben sie setzen, interessiert nach ihnen fragen und offen zuhören, dann ist das eine größere Wertschätzung, als wenn ihnen das bei Jugendlichen passiert.
Ein Mitarbeiter sollte Kontakt zu einigen aus der Gemeinde aufnehmen, die Verständnis für junge Leute haben. Ihnen kann er von seinen Schwierigkeiten und Befürchtungen erzählen und gemeinsam regelmäßig für die Jugendlichen beten. Als Folge wären dann Termine dran: Eine Einladung der „Älteren“ in den Jugendkreis, eine Gegeneinladung in die Wohnung der „Alten“, usw. Auch die Mitarbeiter sollten, neben den Veranstaltungen, Zeit mit ihren Leuten verbringen. Vielleicht könnte man alle 14 Tage vor dem Jugendkreis einen Jugendlichen zum Abendessen einladen…
4. Offenheit sticht „Heiligung“
Leben ohne Probleme, ohne Fehler, ohne Schwächen und Anfechtung? Alles zu spießig für junge Leute. Sie wissen, dass das alles Fassade ist. Dazu brauchen sie nicht einmal die Bibel zu lesen (die das ja auch sagt, z.B. 1. Johannes 1,8-10). Jugendliche sind viel realistischer und ehrlicher, wenn es um Versagen geht. Gerade das macht u.a. den Wert eines Freundes aus: Man kann ihm alles erzählen, und findet Verständnis. Offenheit verbindet, Scheinheiligkeit trennt (Test: Lies bitte Lukas 18,9-13. Zu wem der beiden Männer würdest du gehen, wenn du Probleme hast? – Siehst du?!).
Junge Leute sind eine Herausforderung an die Offenheit in der Gemeinde. Man sollte Gemeindeglieder ermutigen, von ihren Problemen zu erzählen. Das interessiert junge Leute, vor allem, wenn sie noch nicht bewältigt sind. Denn das kennen sie auch.
5. Mittelsmann für Jugendarbeit
Junge Leute denken oft „Die sind zu alt, die verstehen mich nicht.“ Ältere drehen in Gedanken den Spieß um „Die sind zu jung…“. Darum macht es Sinn, wenn es eine Vertrauensperson gibt, die sich als Vermittler für beide Seiten einsetzt. Ideal ist natürlich ein Sitz in der Gemeindeleitung. Wer die Anerkennung von beiden Seiten hat, der kann zur Versöhnung der unterschiedlichen Interessen beitragen.
6. Mitarbeit weckt Vertrauen
Junge Leute wollen viel in der Gemeinde verändern. Nicht nur für sich, sondern auch für ihre Freunde, die sie gerne einladen wollen. Nun kommt das naturgemäß nicht gut an, wenn man ständig nörgelt und kritisiert. Die Jugend sollte auch mal die Interessen der Älteren berücksichtigen, dann geht die Gemeinde vielleicht beim nächsten Mal eher auf den Wunsch der Jugend ein.
7. Nicht alleine bleiben
Wer Verantwortung trägt, sollte auf keinen Fall alleine sein. Adam bekam seine Eva (auch wenn’s nicht immer gut ging…), Jesus sandte seine Jünger zu zweit aus, und die Ältesten /Diakone treten in der Bibel immer als Team auf.
8. Events in Zusammenarbeit
Gerade kleine Gemeinden tun sich schwer, jungen Leuten ein ausreichend attraktives Programm zu bieten. Eine Möglichkeit ist, dass sich zwei/drei Gemeinden zusammen tun und, z.B. ein mal im Monat, ein Event mit den jungen Leuten starten.
9. Verantwortung heißt auch mal: Kämpfen für eine Sache
Ein Hirte weidet nicht nur Schafe, er kämpft auch mit dem Löwen.Junge Leute sind realistisch. Sie wissen, dass sie nicht am langen Hebel sitzen. Bevor sie sich aufreiben, ganz nach dem Motto „Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie.“, verlassen sie die Gemeinde. Anders ist es, wenn sie merken, da sind Leute, die sich für sie einsetzen und – wenn es sein muss – auch mal einen Konflikt riskieren. Darum werden verantwortliche Mitarbeiter (und das nicht nur die in der Jugendarbeit) auch mal am richtigen Ort mit den richtigen Leuten Klartext reden müssen. Ein Hirte weidet nicht nur Schafe, er kämpft auch mit dem Löwen.
10. Und wenn Leute gehen?
Dann sollte man sie auf keinen Fall kriminalisieren. Wer sucht, wird immer „Ungeistliches“ finden, aber das hilft in dieser Situation nicht weiter. Besser ist es, wenn man sich klar verabschiedet, den Kontakt aber freundschaftlich hält. Gerade für Jugendliche sind Beziehungen ja wichtig. Wer sie abbricht, verliert Vertrauen. Wer sie – trotzdem! – pflegt, der baut eine Brücke, über die der andere wieder kommen kann, wenn er es braucht. Vielleicht merkt er ja, dass in einer anderen Gemeinde auch nur mit Wasser gekocht wird. Und wenn die alte Gemeinde evtl. wesentliche Dinge ändert, damit Jugendliche ein Zuhause finden, dann kann es auch einen Weg zurück geben. Auf jeden Fall sollte ein Weggang zum Nachdenken führen. Bei allen!
Eine halbe Stunde ist schon vergangen. Frank weiß nicht recht, ob er gebetet oder nur mit sich selbst geredet hat. „Gut, dass Gott meine verworrenen Gedanken kennt“, sagt er sich. Die Dunkelheit hängt noch immer wie ein schwarzes Tuch schwer über der Landstraße. Der Regen hat etwas nachgelassen. Im Auto ist es kalt geworden. „Die Nacht will ich hier nicht verbringen“, sagt Frank laut und zündet den Motor. Die Scheinwerfer leuchten auf. Sie sind stärker als die Dunkelheit. Seiner Stimmung tut das gut. Mit einer Portion Trotz in der Stimme sagt er: „Jesus, du bist mein Licht. Zeige mir den Weg. Gib mir Menschen zu Seite. Mache meinen Freunden und der Gemeinde wieder Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Denn du bist der Gott der zweiten Chance.“ Er legt den Gang ein, gibt Gas und fährt entschlossen davon.