GESETZL-ich
Dieser Beitrag ist ein persönliches Zeugnis, der uns auf die Existenz und die Bedeutung von Gesetzlichkeit unter uns Christen aufmerksam machen soll. Wir …
Dieser Beitrag ist ein persönliches Zeugnis, der uns auf die Existenz und die Bedeutung von Gesetzlichkeit unter uns Christen aufmerksam machen soll. Wir beten, dass er zum Segen für unsere Jugendgruppen, Mitarbeiterteams und unsere Gemeinden wird. Gesetzlichkeit liegt uns allen im Herzen und es ist gut, wenn wir als Mitarbeiter bewusst und offen damit umgehen.
Ich war gesetzlich. Und bin es immer noch.
Auf andere Christen schaue ich herab, weil sie ihren Glauben nicht so „ernst“ leben wie ich. Wenn ich mich mit Nichtchristen vergleiche, halte ich mich für ziemlich perfekt. Jedenfalls meine ich, dass ich tausendmal besser vor Gott dastehe als sie mit ihrem unmoralischen Lebensstil.
Doch Gott hat mich verändert. Und tut es immer noch.
Wer bin ich?
Ich bin Anfang 20 und studiere einige hundert Kilometer von meiner Heimat entfernt. In frommer Bettwäsche großgeworden war es immer normal für mich, jeden Sonntag einen Gottesdienst zu besuchen und mich mit zunehmendem Alter und wachsender Begeisterung in unserer Gemeinde zu engagieren.
Segenszeit
Obwohl ich schon als Kind selbstständig an Jesus glaubte, lebte ich in meinem Alltag oft ein anderes Leben. Abgesehen von dem sonntäglichen Gottesdienstbesuch interessierte ich mich wenig für Gemeinde und Glauben.
Doch als ich ungefähr 15, begann mein Glaube aufzublühen. Ich sehnte mich nach tieferen Erfahrungen mit Gott und fing an, meinen Lebensstil zu verändern. Morgens stand ich gegen 5 Uhr auf, um zu beten und danach noch genug Zeit zum Bibellesen zu haben. Ich legte seitenlange Gebetslisten für meine Familie, meine Freunde, die Gemeinde und Nichtchristen an und betete diese jeden Morgen herunter. Auch in die Schule nahm ich meine Bibel mit und las trotz der zunehmenden Ablehnung von meinen Mitschülern darin.
Aufgeweckt und Abgehoben
Aber warum erzähle ich das alles? – ich möchte klarstellen, dass ich Gott für diese Zeit unendlich dankbar bin. Gott ist jeden Schritt mit mir gegangen und mich durch diese Erfahrungen zu dem gemacht, der ich heute bin. Er hat mich aus meinem Rapunzel-Schlummer-Glauben wachgeküsst!
Doch mit meinem krasseren Lebensstil wuchs auch etwas Anderes. Etwas, das einen sauren Geschmack auf meiner Zunge hinterlässt, wenn ich mich an diese Zeit erinnere: mein Stolz, meine Selbstgerechtigkeit, mein Elfenbeinturm, von dem ich auf andere Menschen heruntersah. Kurz gesagt: meine Gesetzlichkeit.
Aber wie sah das aus?
Christen zweiter Klasse
Andere, die nicht in mein Bild eines „guten Christen“ passten, waren für mich Christen zweiter Klasse. Auf die, die nicht jeden Morgen so lange beteten wie ich und nicht so viel in der Bibel lasen, sah ich insgeheim herab. Wenn ich auf christlichen Freizeiten andere Jugendliche kennenlernte und Mitarbeitern von mir erzählte, musste ich mein Bibellese- und Gebetsleben besonders hervorheben.
Die Fassade vom „Muster-Christen“ sollte immer glänzen. Deswegen habe ich mir selbst und Anderen gegenüber meine Schattenseiten nicht zugegeben. Meine Sünden musste ich verbergen. Wenn ich anderen davon erzählte, dann nur, um noch frommer und vorbildlicher zu wirken.
Auch auf meine Mitarbeit in der Gemeinde war ich ziemlich stolz. Wenn ich ehrlich bin, arbeitete ich in der Gemeinde eher für mich.Wenn ich ehrlich bin, arbeitete ich in der Gemeinde eher für mich, mein Ego und meine fromme Fassade als aus Liebe und Dankbarkeit für Jesus.
„Danke, dass ich kein Zolleinnehmer bin!
Ähnlich dachte ich von Nichtchristen. Oft war mein Gedanke: „Gut, dass ich nicht bin wie die!“ Ich glaubte, dass ich vor Gott besser dastehen würde als meine Mitschüler. Schließlich taten sie mit Sex und Drogen offensichtlich falsche Sachen und sündigten. Dagegen musste ich doch nahezu perfekt vor Gott stehen, weil ich vorbildlich lebte – zumindest nach meinen Maßstäben!
Ich war so ähnlich drauf wie der Pharisäer, von dem Jesus im Lukasevangelium erzählt:
„Der Pharisäer stellte sich selbstbewusst hin und betete: ›Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die übrigen Menschen – ich bin kein Räuber, kein Betrüger und kein Ehebrecher, und ich bin auch nicht wie jener Zolleinnehmer dort. Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.‹“ (Lukas 18,11.12). Zwar habe ich damals nicht zweimal in der Woche gefastet oder 10% von meinem Taschengeld abgegeben, war aber ziemlich stolz auf meine „geistliche Leistung“. Mein selbstgerechter Blick auf die falschen Verhaltensweisen der Anderen machte mich blind für meine eigenen Sünden – mich musste Gott doch lieben!
Eine Spur der Verwüstung
Damit habe ich meinen Mitschülern wahrscheinlich ein ziemlich abschreckendes Bild von einem Leben mit Jesus vermittelt und mich von ihnen isoliert.
Aber auch bei mir hinterließ meine Gesetzlichkeit eine Spur der Verwüstung.
Wenn ich morgens keine zwei Stunden mit Gebet und Bibellesen verbracht hatte, fühlte ich mich schlecht und weniger wert.
Wenn ich mal wieder auf der Pornoseite gelandet war, bedeutete das meinen emotionalen Untergang. Dann fühlte ich mich plötzlich nicht von Gott geliebt.
Unterbewusst glaubte ich ja, dass ich wegen meiner Leistung gut vor Gott dastehe.
Göttliches Abrisskommando
Aber irgendwann hat Gott diese Fassade, das Gefängnis meiner Gesetzlichkeit abgerissen und tut es immer noch. Die nötige Sprengkraft hat das Evangelium. Über längere Zeit hinweg zeigte mir Gott, was Jesu Tod am Kreuz und seine Auferstehung für mich bedeuten: Jesus lebte das perfekte Leben, das ich trotz aller Anstrengung nicht leben konnte. Jesus starb den Tod, den ich verdient hätte.
Jesus musste für mich sterben – selbst mit meiner größten Anstrengung kann ich Gottes Maßstäbe nicht ansatzweise erfüllen!
Jesus wollte für mich sterben – um geliebt zu sein, muss ich seine Maßstäbe nicht erfüllen, weil Jesus das für mich getan hat. Durch seinen Tod ist meine Schuld beglichen und genauso wie er auferstand und nicht tot blieb, werde ich leben. Das war eine unglaubliche Befreiung!
ER-niedrigt und ER-höht
Letztendlich habe ich verstanden, dass ich nur nah bei Gott bin, weil er dafür gesorgt hat. Es gibt nichts, worauf ich stolz sein könnte. Deswegen ist die einzig angemessene Haltung für mich die vom Zolleinnehmer: „Der Zolleinnehmer dagegen blieb in weitem Abstand stehen und wagte nicht einmal, aufzublicken. Er schlug sich an die Brust und sagte: ›Gott, vergib mir sündigem Menschen meine Schuld!‹“ (Lukas 18,13).
Jesus fasst das Gleichnis vom Zolleinnehmer und Pharisäer so zusammen: „Ich sage euch: Der Zolleinnehmer war ´in Gottes Augen` gerechtfertigt, als er nach Hause ging, der Pharisäer jedoch nicht. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.«“ (Lukas 18,14). Ich kann in Gottes Nähe sozusagen „erhöht“ werden, weil Jesus sich am Kreuz erhöht erniedrigen ließ. Dadurch kann ich befreit von religiösem Leistungsdruck und Gesetzlichkeit leben.
„Religion macht uns stolz auf das, was wir getan haben. Das Evangelium macht uns stolz auf das, was Jesus getan hat.“
– Timothy Keller, Pastor und Gemeindegründer in New York City
Der Autor ist der Redaktion bekannt.