Ethik als Regulativ für den gefallenen Menschen
Wir können als Menschen nicht ohne Regeln für den Umgang miteinander leben. Schule, Staat, Verein und Gemeinde - überall ist das so. Warum geht es nicht ohne Ethik? Und welche Ethikmodelle gibt es überhaupt?
Unsere Enkeltochter Nesya ist zwei Jahre alt. Meistens ist sie zum anbeißen süß, aber gelegentlich kann sie auch ein kleiner Stinker sein. Neulich fragte ihr Vater: “Was machst du, wenn du deinen Bock hast?” Prompte Antwort: “Wäääääääääh”.So ist das. Sie denkt natürlich nicht in moralischen Kategorien, Geboten und Verboten. Aber sie lebt mitten in diesen Prozessen, in denen ihr eigener Wille mit dem der Eltern in Konflikt gerät. Das wird ihr auch noch lange erhalten bleiben.
Was würde aus dem Mädchen werden, wenn die Eltern sie einfach gewähren lassen würden? Warum kann ein erwachsener Mensch nicht einfach tun, was ihm in den Sinn kommt? Muss mir immer irgendjemand vorschreiben, was ich tun und lassen soll? Doch es ist erforderlich.
Wenn Menschen zusammen leben, sind Abmachungen über das Verhalten erforderlich.
Wir fahren rechts, wir werfen den Müll nicht in die Landschaft, es gibt gemeinsame Mahlzeiten und wer eine Frage hat, meldet sich. Kleine und große Regeln, die das Zusammenleben berechenbar machen.
Der Mensch ist böse
Warum ist das überhaupt so? Warum ist nicht wenigstens der erwachsene Mensch in der Lage, automatisch das Richtige zu tun? Die Bibel gibt darauf eine klare Antwort: Der Mensch beziehungsweise das menschliche Herz ist böse. Wir tun nicht nur gelegentlich das Falsche, weil wir die falschen Freunde haben oder ein Gewaltspiel auf dem Computer spielen, sondern wir sind im Kern unheilig. Nach dem Flutbericht am Anfang der Bibel wird der Mensch genau so beschrieben:
“Jahwe roch den angenehmen Duft und sagte sich: „Nicht noch einmal werde ich nur wegen des Menschen den Erdboden verfluchen. Alles, was aus seinem Herzen kommt, ist ja böse – von seiner frühesten Jugend an. Nicht noch einmal werde ich alles Lebendige auslöschen, wie ich es tat.” (1. Mose 8,21)
Und genauso beschreibt Jesus Im Neuen Testament den Menschen:
“Denn aus dem Herzen des Menschen kommen die bösen Gedanken und mit ihnen alle Arten von Mord, Ehebruch, sexuelle Unmoral, Diebstahl, falsche Aussagen, Verleumdungen.” (Matthäus 15,19)
Das bedeutet nicht, dass Menschen nicht auch das Richtige tun könnten. Aber es ist damit zu rechnen, dass uns unter bestimmten Umständen egoistische oder andere minderwertige Triebkräfte – also das böse Herz – steuern. Das ist keine schmeichelhafte Bewertung, aber eine gut überprüfbare. Und weil es so ist, brauchen wir von Kind an Vorgaben für unser Handeln. So hat Ethik eine steuernde Funktion für den “Typ Mensch”, der wir nun einmal sind. Ethik macht den Menschen im Kern nicht besser – sie zeigt höchstens, dass er beschädigt und deshalb erlösungsbedürftig ist – aber sie kann einen Rahmen abstecken, in dem wir als Menschen menschwürdig leben können.
Deshalb ist das Thema “Ethik” ein grundsätzliches Thema. Bei der Bewertung der Risiken von Atomkraftwerken wurde eine “Ethikkommission” gegründet. In der Politik und im Bildungswesen hat das Thema erhebliches Gewicht. Es ist unbestritten: Wir brauchen eine Ethik. Die Preisfrage ist nur: Woher nehmen wir die Kriterien für eine verbindliche Ethik?
Wer über christliche Ethik nachdenkt, für den ist diese Frage ziemlich schnell geklärt: Der Maßstab ist Gott selbst. Wir glauben, dass in seinem Wort lebenstaugliche Ordnungen niedergelegt sind. Aber auf welche Grundlage baut ein Nichtchrist seine Ethik? Woher hat ein Ethiklehrer seinen “Stoff”, den er den Schülern nahe bringt? Es gibt eigentlich nur zwei wesentliche Entwürfe für eine “weltliche” Ethik.
Erster Entwurf: Die Vernunftethik
Der Name sagt schon, was bei diesem Modell die Grundlage ist. Nicht die Bedürfnisse und Wünsche des Einzelnen sind der Maßstab, sondern die Vernunft. Auf diese Weise kann man zu sehr tragfähigen Ergebnissen kommen; zu Ergebnissen übrigens, die den biblischen Normen oft sehr nahekommen. Das hat damit zu tun, dass christliche Ethik höchst vernünftig ist. Deshalb ist die Ähnlichkeit nicht überraschend.
Beispiel 1
Die Vernunft gebietet, das Eigentum eines Menschen zu schützen: Was ich erarbeitet habe, gehört mir. Was auf meinem Feld wächst, ist mein Eigentum. Warum ist es vernünftig, Eigentum zu schützen? Weil sich Arbeit sonst nicht lohnt. Wenn mir irgendein Mensch (oder der Staat) den Ertrag meiner Arbeit einfach wegnehmen kann, macht Arbeit keinen Sinn mehr. Die Vernunft bringt also das gleiche Ergebnis hervor, wie das 8. Gebot im Dekalog: “Du sollst nicht stehlen” (2. Mose 20,15).
Wenn in einem Staat die reine Vernunft regiert, dann kann man in diesem Staat in der Regel als Christ ganz gut leben. Aber in mancher Beziehung regiert nicht nur die Vernunft. Manchmal spielen auch andere Triebkräfte eine Rolle, deren Wirkung bis in die Gesetzgebung durchgreift, wie man am folgenden Beispiel sehen kann.
Beispiel 2
Es ist vernünftig, eine stabile Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau – also die Ehe – mehr zu schützen, als jede andere denkbare Beziehungskonstellation. Vernünftig ist es allein schon deshalb, weil nur diese Verbindung in der Lage ist, Kinder hervorzubringen. Und die Statistik zeigt, dass auf Dauer angelegte Ehen die besten Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kinder bieten. Nun kennen wir die Gesetzgebung der letzten Jahre: Seit dem 1. August 2001 besteht die Möglichkeit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare. Anfänglich recht deutlich von der Ehe unterschieden, werden die Privilegien der Ehe immer kleiner. Diese Gesetzgebung ist – nach meinem Verständnis – keine reine Vernunftregelung mehr, sondern auch durch andere Kriterien bestimmt.
Damit ist ein Problem der Vernunftethik erkennbar: Sie ist nicht besonders stabil. Unsere Vernunft geht von Denkvoraussetzungen aus, die sich verändern können. Deshalb kann die Nähe dieser Ethik zu einer biblischen Ethik schwanken. Das letzte Beispiel führt uns zu einem zweiten Typ einer “weltlichen” Ethik:
Zweiter Entwurf: Die Mehrheitsethik
Es ist eine Ethik, die weniger von der Frage getrieben wird, was der Mensch tun sollte, sondern davon, was er schon tut. Es wird eher beobachtet, was die Mehrheit in einer bestimmten Frage denkt und gießt es in Gesetzesform. Damit schreibt diese Ethik dem Menschen nichts vor, sondern schafft lediglich einen gesetzlichen Rahmen für das, was er tut, beziehungsweise für richtig hält. Da man leichter Mehrheiten hinter sich hat, wenn man die Mehrheitsmeinung bedient, ist das in der westlichen Welt ein verbreitetes Modell.
Aus biblisch-theologischer Sicht ist dieser Ethik mit Misstrauen zu begegnen, denn der Mensch hat eine Neigung zum Minderwertigen, zur Sünde. Auf diese Weise wird gesetzeskonform, was in der Bibel Sünde ist. Besonders um das Thema Ehe und Familie hatte im letzten Jahrzehnt die Mehrheitsethik mehr Gewicht als die Vernunftethik und hat am Ende auch die Gesetzgebung bestimmt.
Christliche Ethik
Der Mittelpunkt christlicher Ethik ist das Reden Gottes. Deshalb ist sie – anders als die beiden gerade beschriebenen Entwürfe – eine Offenbarungsethik. Sie entsteht nicht im Dialog zwischen Gott und Menschen oder zwischen Theologen, sondern wir fragen: Was hat Gott zu einer bestimmten Frage gesagt. Das ist die Grundlage dieser Ethik. Der Vorteil: Weil Gott unser Schöpfer ist, kann man blind vertrauen, dass seine Ethik im besten Sinn “human” ist, dem Menschen gemäß.
Der Vorteil: Weil Gott unser Schöpfer ist, kann man blind vertrauen, dass seine Ethik im besten Sinn “human” ist, dem Menschen gemäß.
Gott liefert keine ausführliche Begründung zu dem Gebot: “Du sollt die Ehe nicht brechen”. Aber man muss nicht lange überlegen, um herauszufinden, dass das Gebot Sinn hat.
Christliche Ethik hat aber auch zwei Nachteile, die sie (manchmal selbst für Christen) unpopulär erscheinen lässt:
- In manchen Punkten ist sie zurzeit (genauso wie in Korinth vor 2000 Jahren) Lichtjahre von der üblichen Ethik entfernt. Das macht sie sehr anspruchsvoll, sie muss geistreich erklärt, begründet und vermittelt werden.
- Zurzeit wird geschätzt, was ganz schnell viel Spaß verspricht. Im Wettrennen um den schnellen Spaßfaktor liegt christliche Ethik nicht vorn.
Wir können als Menschen nicht ohne Ethik leben. Selbst wenn jemand sagt, dass ihm eigentlich alles egal ist, ist das eine Ethik. Besser aber ist es, bei der Wahl des Ethik- Konzeptes kritisch zu sein. Wir leben nicht nur heute, sondern haben ein ganzes Leben (und ein Leben nach dem Leben!) vor uns. In dieser Hinsicht ist die Ethik, die uns die Heilige Schrift vermittelt, unübertroffen tauglich.