Eine multikulturelle Gemeinde erzählt
Michael Fischer, Pastor der Mosaik Gemeinde in Frankfurt wird interviewt. Er erzählt warum sie sich eine multikulturelle Gemeinde nennen und warum eigentlich jede Gemeinde eine solche sein sollte.
Michael Fischer ist Pastor in der Mosaik – Gemeinde in Frankfurt. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen mit multikulturellem Gemeindebaus gesprochen – und was das mit Jugendarbeit zu tun haben kann.
Das Rhein-Main-Gebiet hat einen Ausländeranteil von 25 Prozent – diese Menschen werden nicht vom Evangelium erreicht. Das muss sich ändern. Wir sind überzeugt: Nur das Evangelium kann es schaffen, dass Menschen mit so unterschiedlichem kulturellen Hintergrund versöhnt zusammenleben können, ohne dabei ihre kulturelle Identität aufzugeben. Auch Missionswissenschaftler sind der Meinung, dass die Gemeinde der Zukunft multikulturell sein wird.
Mit diesem Hintergrund entstand die Idee, dass multikulturelle Gemeinden im ganzen Rhein-Main-Gebiet gegründet werden. Zurzeit gibt es drei Gemeinden, die konzeptionell zusammenarbeiten, sonst aber unabhängig voneinander sind. Und diese haben das Ziel, dass weitere multikulturelle Gemeinden gegründet werden.
Erstens: Es ist ein bisschen so, wie es im Himmel sein wird. Dort werden Menschen aus allen Nationen gemeinsam Gott loben.
Zweitens: Es soll so sein, wie es einmal gewesen ist – in der Apostelgeschichte. Damals hat es funktioniert, dass Juden und Heiden gemeinsam Gemeinde gelebt haben – trotz kultureller Unterschiede. Heute bleiben wir weit hinter unseren Möglichkeiten zurück. Das Evangelium bedeutet
doch auch: Jeder Mensch, egal welcher Kultur, kann die freie Gnade Gottes annehmen. Das muss aber auch in der Wirklichkeit sichtbar werden. Deswegen wollen wir das in unseren Gemeinden leben. In seinem Buch „Neukölln ist überall“ zeigt Heinz Buschkowsky, dass Integration in vielen Bereichen der Gesellschaft gescheitert ist. Wir wollen zeigen, dass Integration in der Gemeinde möglich ist.
Was ist eine normale Gemeinde?
Vielleicht ist das, was wir als normal bezeichnen, für Gott gar nicht normal. Denn viele Gemeinden haben ein Wahrnehmungsproblem:
sie sehen die Möglichkeiten nicht. Es ist schon ein wenig verrückt: wir unterstützen Missionare und schicken sie in Länder, die einen hohen Anteil von Evangelikalen haben. Christen in anderen Ländern sehen aber Deutschland mittlerweile als Missionsland. Sie sammeln Geld, um uns Missionare zu schicken. Außerdem drehen sich viele Gemeinden um sich selbst. Wie viele Ressourcen werden aufgewendet, um den eigenen Betrieb aufrechtzuerhalten und wie wenig für andere?
Zudem steckt in vielen Köpfen die Angst: Was kann mir passieren? Was kommt auf mich zu? Dabei sind oft die eigenen Vorurteile das Problem. Wenn ich hinter jedem Muslim einen verkappten Taliban sehe, ist das nicht hilfreich. Ich habe gute Kontakte zu Muslimen und kann mit ihnen häufig viel offener über den Glauben reden als mit Deutschen. Manchmal werden wir auch Opfer der eigenen Theologie. Wir trennen uns von allem, was nicht zu unserer eigenen Überzeugung und Lebensweise passt. Wir bilden Ghettos durch unsere eigene Sprache. Wie ein Missionar zuerst die Lebensweise und Sprache lernen muss, müssen auch wir wieder die Lebensweise und Sprache unseres Umfeldes verstehen lernen. Aber wir halten es für eine Tugend, genau das Gegenteil zu tun.
Wir gehen aktiv auf Menschen zu und laden sie ein. Mission bedeutet immer, Grenzen zu überschreiten. Dann gibt es sogenannte Entdeckergruppen mit sechs Lektionen, zu denen gezielt eingeladen wird. Wenn man multikulturell arbeiten will, muss es auch eine genaue Unterscheidung geben zwischen: Was ist Sünde? Was ist kulturell bedingt? In der Bibel gibt es beispielsweise keine Anweisung, welcher Musikstil „christlicher“ ist. Wir kommen den Menschen soweit es geht entgegen. Denn wir wollen sie nicht zu Deutschen machen, sondern zu Christen – und sie sollen ihre kulturelle Identität leben können.
Am Anfang jeden Gottesdienstes erklären wir den Gästen, was auf sie zukommt. Wir sagen ihnen, dass sie nicht unsere Überzeugung übernehmen müssen. Sie sollen sich erst einmal angenommen fühlen. Deswegen bieten wir auch Übersetzungen in verschiedenen Sprachen an.
Am Ende beten wir das Vaterunser. Dieses Gebet steht im Programmheft in verschiedenen Sprachen und jeder kann es in seiner Sprache mitbeten. Auch das Essen spielt bei uns eine große Rolle. Es ist immer wieder spannend, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen das Essen machen. Bald wollen wir einen diakonischen Dienst beginnen, der Menschen hilft, sich in Deutschland zurechtzufinden. Es gibt zum Beispiel Kulturen, wo die Sippe für Erziehung verantwortlich ist. In Deutschland müssen jedoch die Eltern eine Erziehungsaufgabe wahrnehmen – was sie nie gelernt haben. Sie müssen lernen, wie sie den Anforderungen von Schule und Staat gerecht werden können. Dabei ist es wichtig, genau hinzuhören, wo die Probleme sind. Außerdem sind unsere Gemeinden in Hausgemeinden aufgeteilt, die sich fast jede Woche treffen. Diese sind teilweise nach ethnischen Gruppen unterteilt und hier können die Leute in ihrer Sprache ihre kulturelle Identität leben. Als Gemeinde wollen wir groß genug sein, um unser Umfeld zu prägen, aber auch klein genug, um persönliches Leben zu prägen. Deswegen finden Seelsorge, Weiterführung in Glauben und vieles mehr in den Hausgemeinden statt.
Beten, beten, beten. Das wollen wir ständig machen. Gott muss in uns die Veränderung schaffen, die nötig ist. Denn wir stehen uns oft selbst im Weg. Eins unserer größten Gebetsanliegen sollte sein, dass wir unsere Blindheit und unseren Egoismus überwinden und Liebe ins Herz bekommen.
Dann ist es wichtig, als Team unterwegs zu sein. Denn Mission ist Teamarbeit. Als Einzelner sehe ich bestimmte Sachen nicht, die andere sehen. Das heißt: Gemeinsames beten, planen und entwickeln.
Außerdem ist es wichtig, Wissen zu sammeln über Menschen aus anderen Kulturen und die Kulturen als Bereicherung zu verstehen, nicht als Bedrohung. So können wir Respekt vor anderen Menschen und ihren Lebensgewohnheiten entwickeln.
Ganz konkret sollten dann Formen der Begegnung geschaffen werden. Sucht die Orte in eurem Umfeld, wo sich Jugendliche treffen – wie Spielplätze und Sportplätze. Schaut genau hin: Was machen sie? Was kann man gemeinsam machen? Sport ist da beispielsweise eine einfache Möglichkeit. Und dann ladet sie zu euch ein und macht was für sie: Bietet Essen an, seid gast-
freundlich und erklärt ihnen dann, warum ihr das macht.
Für uns in Deutschland ist es wichtig, dass wir das Evangelium neu entdecken – in der Größe und Schönheit. Wir brauchen eine Erweckung. Denn Gemeinden sind häufig zu sehr in ihrer Kultur verwurzelt und zu wenig im Evangelium.
Vielen Dank für das Gespräch und Gottes Segen
für eure Arbeit!